Fliegenfischen: Für den Brad Pitt in uns
Das elegante Fliegenfischen ist die Königsdisziplin der Hobbyangler – und inzwischen auch eine angesagte Lifestyle-Beschäftigung für stressgeplagte und natursüchtige Städter. Wie schön, dass man dieser einsamen Leidenschaft auch in Zeiten des Social Distancing ganz unbeschwert nachgehen kann. Aber wie funktioniert das eigentlich genau?
Fliegenfischer sind die Gentlemen und -ladys unter den Anglern. Ihre Vorbilder an den schottischen Lachsflüssen wussten sich stets ordentlich zu kleiden: Um die Waden schlotterten Knickerbocker, den Hemdkragen hielt eine Fliege zusammen, auf dem Kopf thronte ein wettergegerbter Tweed-Hut,
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im Idealfall ein Erbgeschenk des adeligen Großvaters. Das alles hatte zwar Stil, war aber auch ziemlich altmodisch. Das Image drehte sich 1992, als das Fliegenfischer-Epos „Aus der Mitte entspringt ein Fluss“ mit dem jungen Brad Pitt in der Hauptrolle von Robert Redford verfilmt wurde. Mann, war der cool! Viele lasen danach die Romanvorlage von Norman Maclean. „In unserer Familie“, heißt es da auf der ersten Seite, „gab es keine klare Trennungslinie zwischen Religion und Fliegenfischen.“
Fast alle Fliegenfischer würden diesen Satz so unterschreiben. Angeln mag ein Hobby sein. Das Fischen mit der Fliege hingegen ist quasi religiöse Berufung und hohe Kunst zugleich. Es war unter anderem die Passion von Charles C. Ritz, Sohn des legendären Hotelgründers César Ritz. Sein Buch "Erlebtes Fliegenfischen", 1956 erschienen, wurde zum Standardwerk für Generationen von Gleichgesinnten.
Das Vorwort schrieb kein Geringerer als Ernest Hemingway, denn der alte „Hem“ war nicht nur dem Alkohol, sondern auch dem Fischen mit künstlichen Fliegen hoffnungslos verfallen.
Was aber macht diese Passion so besonders? Warum behaupten Spötter, Fliegenfischen sei die schwierigste und kostspieligste Methode, keinen Fisch zu fangen? Warum führt angeblich nur die richtige Mischung aus buddhistischer Gelassenheit und konzentriertem Ehrgeiz zum Erfolg?
Wie funktioniert Fliegenfischen?
Nun, das Auswerfen ist ein in der Tat komplexer Vorgang. Zuerst fingert der Akteur eine bunte und mit einem Haken bewehrte Kunstfliege aus seiner Echtholzdose, die er nach Möglichkeit selbst gebunden hat und die aussieht wie ein abgemagertes Lagerfeld- Model in einem schrillen Kostüm.
Die Fliege imitiert ein auf das Wasser fallendes Insekt und wird aus Materialien fabriziert, die man in Spezialkatalogen bestellt. Findet man die Zutaten dort nicht, kommt noch ein Einbruch in naturhistorische Museen infrage, um spezielle Federn längst ausgestorbener Vögel zu ergattern.
Mit der Gerte, die früher aus Bambus gefertigt wurde, die heute aber aus Hightech-Kohlefaser besteht und sündhaft teuer ist, schreitet man sodann zum Fluss. Der Fliegenfischer hält die Rute in der rechten Hand, den Unterarm auf elf Uhr angewinkelt. Er bewegt die Angel auf ein Uhr, zuerst langsam, dann schneller. Das Ganze zurück, der umgekehrte Bewegungsablauf.
Dabei gibt er immer mehr Flugschnur frei, die Fliege saust waagerecht durch die Luft, bis sie sanft auf der Wasseroberfläche aufsetzt, keinesfalls aber wie bei einer Notlandung aufklatscht. Anfangs ist die Lernkurve recht steil. Doch dann dauert es, ähnlich wie beim Golfen.
Nur jahrelange Erfahrung und diszipliniertes Üben führen zum Erfolg: Die Rute soll zum verlängerten Arm werden, die Bewegungen müssen ineinanderfließen. Nur dann platziert man die Fliege mit jener Leichtigkeit am richtigen Ort, die den Sport so britisch-elegant erscheinen lässt. Der richtige Ort – das ist oftmals nur ein notizblockgroßes Stückchen Wasseroberfläche.
Neben dem Fliegenbinden und dem komplexen Werfen ist es die sensible Beobachtung der Natur, die den Akteur auszeichnet. Schließlich muss er alle Insekten kennen, die am Fluss unterwegs sind, um die richtige Kunstfliege auszuwählen. Er muss sich lautlos anpirschen, denn der kleinste Fehler verrät ihn und lässt die vorsichtige Forelle die Flucht ergreifen. Das alles erfordert höchste Konzentration und List, führt aber auch zu einem flowähnlichen Zustand, einer geradezu erotischen Auseinandersetzung mit dem Gewässer und seinen geschuppten Bewohnern.
Fliegenfischen lernen: Tipps
Ernsthafte Fliegenfans streben danach, jenes gediegene Endstadium der Fischerei zu erreichen, bei dem Zahl und Größe der gefangenen Flossenträger keine Rolle mehr spielen, sondern es nur noch um das vollkommene Verschmelzen des Fischjägers mit der erhabenen Natur geht. Die mit widerhakenlosen Haken gefangenen Fische werden nach vollzogenem Akt übrigens meistens wieder freigelassen. „Catch and release“ heißt das im Fachjargon.
Spätestens jetzt sollte klar geworden sein, dass es hier längst nicht mehr um Fischfindung, sondern um Selbstfindung geht. Das Angeln ist im Kreise der angesagten Lifestyle-Beschäftigungen für von Burn-out bedrohte und natursüchtige Städter angekommen: Yoga an den geraden Wochentagen, ein Grundkurs Fliegenfischen an den ungeraden, beides mit Achtsamkeitszertifikat. Manager kommen so endlich mal runter, verbringen Quality Time am Wasser.
Wenn man da nicht aufpasst, kann sich die Herangehensweise an den Sport schnell ins Lächerliche verkehren. Das Werfen mit der Fliegengerte als meditative Auseinandersetzung mit Instinkten und Urtrieben? Food Foraging am Fluss, um die gleichermaßen stilvolle wie archaische Selbstversorgung mit eigenhändig erbeutetem Getier zu zelebrieren?
Vielleicht geht es ja auch eine Nummer kleiner. Und dann ist Fliegenfischen tatsächlich ein wunderbarer Zeitvertreib – gerade in Phasen, in denen Menschenaufläufe vielen nicht mehr so ganz geheuer sind. Tatsächlich wächst die Zahl der fliegenfischenden Petri-Jünger hierzulande stetig. Zwar ist der Sport noch lange nicht so beliebt wie in den USA, wo es rund eine Million Fans geben soll, darunter auch immer mehr Frauen. Aber Kurse für Einsteiger erfreuen sich auch bei uns steigender Beliebtheit. Fliegenfischen, der einst königliche Zeitvertreib, ist jünger, attraktiver und weiblicher geworden.
Der große Vorteil in Corona-Zeiten: Man muss dafür nicht um die halbe Welt jetten, denn idyllische Bäche und Flüsse gibt es nahezu überall.
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