Welcome to Helltown: Wie vier Männer ein Feuer-Inferno besiegten
Im November 2018 machte die kalifornische Stadt Paradise Schlagzeilen, weil sie von einem Waldbrand ausgelöscht wurde. Doch nur wenige Kilometer vom Paradies entfernt, kämpften vier Männer um die Rettung ihrer eigenen kleinen Stadt vor den Flammen. Dies ist die Geschichte der Helden von Helltown.
Ungläubig blickt Dharma LaRocca auf den Bildschirm des Fernsehers. Die Live-Bilder des Nachrichtensenders zeigen die verheerenden Ausmaße des Waldbrandes, der im November 2018 Kalifornien heimsucht. Auf dem Bildschirm sieht Dharma, dass die Flammen bereits die Stadt Paradise verschluckt haben. In diesem Moment wälzt sich das Feuer über den Hügel an der Nordseite der Stadt, geradewegs auf den sechs Kilometer entfernten Nachbarort Helltown zu – den Ort, in dem Dharma LaRoccas Eltern leben.
"Wir hatten keine andere Wahl"
"Ihr müsst sofort Helltown verlassen", beschwört Dharma seine Mutter am Telefon, noch immer den Blick starr auf den Bildschirm gerichtet. "Das Feuer hat euch bald erreicht." Während seine Mutter und sein Vater ihre wichtigsten Habseligkeiten in einen Koffer werfen und mit ihrem Auto vor dem nahenden Inferno flüchten, beschließt Dharma LaRocca, das eigentlich Undenkbare zu tun: Er wird sich der nahenden Zerstörung in den Weg stellen.
Wenn der Waldbrand den Ort seiner Kindheit zerstören will, muss er erst an ihm vorbei. Dass dieses Unterfangen jedoch alleine nicht zu bewältigen sein wird, weiß Dharma ganz genau. Deshalb sammelt er auf seinem Weg nach Helltown seine beiden Kindheitsfreunde Jason McCord und Jeb Sisk ein. "Wir hatten keine andere Wahl", erzählt Dharma heute. "Wir mussten wenigstens versuchen, die Häuser unserer Eltern und die gesamte Gemeinde retten."
Dichter Rauch über Helltown
Als die drei Freunde sich den etwa 75 Häusern nähern, aus denen die Gemeinde Helltown besteht, macht sich eine merkwürdige Stimmung unter ihnen breit. "Wir hatten alle einen irrsinnigen Adrenalinrausch", erinnert Dharma sich noch.
Auf der großen Stahlbrücke in der Nähe der Ortschaft machen die drei auf ihrem Weg Halt. Von hier aus versuchen sie sich zu orientieren. Wo liegt Helltown? Wo ist das Haus von Dharmas Eltern, wo das seiner Schwester? Was ist mit den Häusern ihrer Verwandten und was ist mit dem örtlichen Friedhof, auf dem Dharmas Frau, die 2012 bei einem Autounfall ums Leben kam, begraben liegt?
Obwohl es tiefe Nacht ist, ist der Canyon, in dem Helltown liegt, von den lodernden Flammen hell erleuchtet – doch dort wo die drei Männer ihren Heimatort vermuten, hängt lediglich dichter Rauch. "Wir waren uns sicher, dass das Feuer bereits alles zerstört hat", erzählt Dharma heute. Trotzdem beschließen die Freunde zu retten, was noch zu retten ist. Aber als sie auf die langgezogene Helltown Road abbiegen, bietet sich ihnen ein überraschender Anblick: Der Ort blieb bisher von den Flammen verschont – und sie sind nicht die Einzigen, die den Plan verfolgen, das Dorf zu retten.
"Wir hatten Angst. "
Als Dharma mit seinem Wagen rechts ran fährt, sieht er einen Mann, der im Lichtkegel der Scheinwerfer seines Trucks mit den Stiefeln brennende Grasbüschel austritt. Der Mann, Sam Tompkins, ist mit Dharma, Jason und Jeb zusammen in Helltown aufgewachsen. Bereits seit dem frühen Abend versucht Sam nun schon, den Vormarsch des Feuers zu stoppen – mit nur eingeschränktem Erfolg.
Zwar gelang es ihm bisher, die Flammen aufzuhalten, doch ohne Unterstützung würde er bald das Feld räumen müssen. Zu viert fassen die Männer jedoch den Entschluss, sich der Feuerbrunst so lange in den Weg zu stellen, wie es nur irgend möglich ist. "Natürlich hatten wir Angst", gesteht Dharma rückblickend. "Aber wir hatten keine Zeit, um darüber auch nur eine Sekunde nachzudenken."
Um den Vormarsch des Waldbrandes zu stoppen, brauchen die vier Männer ihren gesamten Einfallsreichtum. Weder sind sie aktive Feuerwehrmänner, noch haben sie die nötige Ausrüstung, um einen Brand zu löschen. "Wir mussten nehmen, was wir bekommen konnten", erklärt Dharma. "Mit unseren Stiefeln traten wir brennende Gräser aus. Mit Schaufeln und dem Bagger meines Schwagers gruben wir Gräben um die Wohnhäuser und das Schulgebäude." Wie im Rausch arbeiten die Männer die Nacht durch, allen Widrigkeiten zum Trotz. "Durch den Rauch konnte man nur schwer atmen, und es war extrem heiß", so Dharma. "Es war wirklich angsteinflößend."
Ganze 18 Stunden lang halten Dharma LaRocca und seine Freunde den Kampf gegen das Feuer durch, bis endlich die Feuerwehr in Helltown vorfährt und sie ablöst. Als Ende November 2018 die Waldbrände in Kalifornien gelöscht sind, bleibt eine erschütternde Bilanz: Über 100 Menschen kamen in den Flammen ums Leben, alleine in Paradise brannten etwa 9700 Wohnhäuser ab. Doch Helltown hielt den Flammen stand – dank dem Einsatz von Dharma und seinen Freunden. In den USA werden die vier Männer, die das Feuer besiegten, deshalb längst als Helden gefeiert. Bei dem Begriff Held winkt Dharma LaRocca jedoch ab: "Wir haben doch nur das gemacht, was wir tun mussten."
Wann entsteht ein Funkenregen?
Kein Feuer breitet sich so schnell aus wie ein Brand in einer Gras- oder Steppenlandschaft. Doch obwohl die Flammen sich mit mehr als 20 km/h vorwärts bewegen und Meter hoch schlagen, sind solche Brände für Feuerwehrleute ein Glück. Der Grund: Brennende Gräser schlagen im Gegensatz zu brennendem Holz kaum Funken, die neue Glutnester entfachen könnten. Gerade bei Waldbränden haben die Feuerwehrleute deshalb mit starkem Funkenflug durch die brennenden Bäume zu kämpfen.
1500 JAHRE gegen die Flammen
Die trockenen Wälder Kaliforniens sind eine der für Waldbrände anfälligsten Gegenden der Welt. Trotzdem gibt es hier Mammutbäume, die über 1500 Jahre alt geworden sind. Ihr Geheimnis: Die 50 Zentimeter dicke Borke ist ein natürlicher Schutzschild gegen die Brände. Tatsächlich profitieren die Bäume sogar vom Feuer. Da die Flammen lästige Konkurrenten aus dem Weg schaffen, bekommen die Sequoias mehr Platz zum Wachsen – und die Asche der anderen Bäume ist gleichzeitig noch ein nährstoffreicher Dünger.
Kann sich ein Feuer schlafen legen?
Gewitter stellen die Feuerwehrleute Nordamerikas jedes Mal aufs Neue vor Herausforderungen. „Blitzeinschläge sind für uns wie Zeitbomben“, erläutert Solal Audibert, ein kanadischer Wildland Firefighter, und fügt hinzu: „Zwar verursachen nur wenige wirklich ein Feuer, aber wir können nicht jeden Blitzeinschlag überprüfen.“ Die Folge: Durch die mit Gewittern oft einhergehenden Regenfälle wird das Feuer meistens unterdrückt. „Trotzdem glimmt es im Boden weiter und bricht manchmal erst ein oder zwei Wochen später aus. Bis dahin hat es sich einfach schlafen gelegt.“
Wie weit kann ein Feuer fliegen?
Schneller, immer schneller breitet sich der Waldbrand im November 2018 in Kalifornien aus. Mit Schaufeln und einem Bagger versuchen Dharma LaRocca und seine Freunde das Feuer aufzuhalten. Doch dass ihr Plan am Ende aufgeht, ist pures Glück. Denn Tatsache ist: Ein Waldbrand breitet sich mitnichten nur am Boden aus. Zwar ist es eine gängige Methode, dem Feuer „den Boden unter den Füßen wegzuziehen“ – sprich: gezielt die Gräser und Pflanzen auf seinem Weg zu verbrennen, damit die Flammen des Waldbrandes auf möglichst wenig Brennbares treffen.
Trotzdem gibt es einen Faktor, der dieser Methode mit Leichtigkeit einen Strich durch die Rechnung machen kann: der Wind. Über den Funkenflug kann sich ein Feuer auch in weiter entfernte Gebiete verbreiten. So fanden Forscher des Insurance Institute for Business and Home Safety im US-Bundesstaat South Carolina heraus, dass ein einzelner Funke noch immer die nötige Energie besitzt, ein Haus zu entzünden, auch wenn er bereits mehr als 25 Kilometer vom Wind getragen wurde.
Die Schadensbilanz
Die Waldbrände im Jahr 2018 sind als die verheerendsten Brände der USA in die Geschichtsbücher eingegangen. Bei den ab März immer wieder auftretenden Bränden kamen über 100 Menschen ums Leben, Zehntausende Wohnhäuser wurden zerstört. Hunderttausende Menschen mussten aus ihren Häusern evakuiert werden, in den Countys Butte, Ventura und Los Angeles wurde jeweils der Notstand ausgerufen. Nie zuvor hatte ein Waldbrand in den USA einen Schaden diesen Ausmaßes angerichtet. Die Schadenssumme, die der Rückversicherer "Munich Re" berechnet hat, nachdem im Dezember auch die letzten Feuer gelöscht waren, beläuft sich auf ganze 24 Milliarden US-Dollar.