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Kameras, Betrug, Leichen! Was Airbnb euch verschweigt

Täglich übernachten dank Vermittlungsportalen wie Airbnb zwei Millionen Menschen bei völlig Fremden – die auch Airbnb nicht kennt.

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Video: Xcel Production

Was Airbnb euch verschweigt

Robert Harding* hat sich gerade schlafen gelegt, als er in der Dunkelheit zwei rote Lämpchen an der Halterung der Jalousien leuchten sieht. Er schaltet das Licht wieder an und geht der Sache nach. Was er entdeckt, lässt ihn erschaudern:

Die Lämpchen gehören zu zwei Kameras, die ihn offensichtlich in diesem Moment aufzeichnen – heimlich. Ist das ein Versehen? Seinen Gastgeber Gregor hat Harding im Internet bei der Privatzimmervermittlung Airbnb gefunden und drei Stunden zuvor bei der Schlüsselübergabe zum ersten Mal getroffen.

Ein scheinbar sympathischer Typ mit einer Wohnung mitten im New Yorker Stadtteil Manhattan. Das Gästezimmer, das er vermietet, kostet nur halb so viel wie ein vergleichbares Hotel.

Lage, Ausstattung und die Bewertungen der Vormieter versprachen eine sorgenfreie Nacht – und jetzt das.

Langsam steigt Panik in Harding auf: Hat der im Nebenzimmer residierende Hausherr seine Entdeckung schon mitbekommen? Ist das Video vielleicht erst der Auftakt zu weiteren Überraschungen?

An Schlaf ist jetzt nicht mehr zu denken: Hektisch rafft Harding seine Sachen zusammen und flieht aus der Wohnung – mit den Kameras als Beweismittel …

Wie viele Zimmer hat das größte Hotel der Erde?

"Man benötigt nur zehn Minuten, um Gastgeber zu werden", sagt Asher Fergusson, der mehr als 1000 Missbrauchsfälle bei Airbnb untersucht hat, der weltweit größten Vermittlungsplattform für Zimmer, Wohnungen oder sogar ganze Häuser von privat an privat.

"Gäste müssen einen Ausweis vorlegen, bei Gastgebern genügen E-Mail und Telefonnummer für die Registrierung. Das bedeutet, man kann bei einem verurteilten Verbrecher, Triebtäter, Dieb oder Betrüger landen."

Airbnb gibt zwar an, sogenannte "Background Checks" bei Gastgebern durchzuführen, um eventuelle Straftäter aufzuspüren. Allerdings: Welcher bekannte Kriminelle wird sich unter seinem echten Namen im System registrieren?

Sechs Millionen Unterkünfte (darunter 4000 Schlösser und 2400 Baumhäuser), verteilt auf sämtliche Länder der Erde, bietet Airbnb – mehr als die zehn größten Hotelketten der Erde zusammen.

Für die bis zu 15 Prozent Gebühren, die Airbnb pro Buchung einstreicht, prüft das Unternehmen nicht einmal die Unterkünfte:

Existiert die Adresse überhaupt? Entsprechen Fotos und Größenangaben der Realität? Ist die Einrichtung eventuell beschädigt oder von Ungeziefer befallen?

Bei einem gängigen Betrugsmodell bietet der Täter dieselbe Wohnung mit leicht veränderter Adresse zu unterschiedlichen Preisen an – und storniert vorher die jeweils günstigere Variante, sollte ein anderer Kunde zu einem höheren Mietpreis gebucht haben.

Wer als Reisender Opfer dieser Praxis wird, erhält in letzter Minute – manchmal nur Stunden vor dem Check-In – eine Absage und kann sich erneut auf die Suche nach einer Bleibe machen.

Abgesehen vom zeitlichen Mehraufwand mitten im Urlaub sind auch die Kosten typischerweise um ein Vielfaches höher als zum Zeitpunkt der Originalbuchung.

Airbnb deckt davon höchstens einen Anteil ab, der sich dazu noch an dem für die stornierte Wohnung gezahlten Betrag orientiert und nur als Gutschein gewährt wird.

"Bei drei bis sieben Prozent aller Buchungen kommt es zu Problemen", sagt Fergusson und beruft sich dabei auf Zahlen von Airbnb-Vertretern.

Bei einer halben Milliarde vom 2007 gegründeten Unternehmen bislang vermittelten Unterkünften wären das also immerhin zwischen 15 und 21 Millionen beanstandete Reisen.

Haben Kriminelle unbegrenzten Zugang?

Für Airbnb, ein Unternehmen aus San Francisco mit einem geschätzten Marktwert von 35 Milliarden Euro, ist die Kalkulation einfach: Schlechte Gastgeber bekommen schlechte Bewertungen und sortieren sich so quasi von selbst aus – das Risiko trägt der Gast.

Doch das System befördert sich selbst ins Abseits, wenn es diesen Gastgebern quasi unzählig viele neue Versuche gewährt.

Steckt dahinter Methode? Für Airbnb bedeuten viele Objekte und hohe Preise großen Profit. "Bei dieser Firma geht es zuallererst um die Gastgeber und nicht um die Gäste", erklärt Brian Chesky, einer der drei Airbnb-Gründer.

Und so berichten Nutzer immer wieder von negativen Bewertungen, die mit fadenscheinigen Begründungen wie einem Verstoß gegen die Nutzungsbedingungen von Airbnb einfach gelöscht werden …

Die fehlende Kontrolle "verhilft" Airbnb zu Aufsehen erregenden Schlagzeilen: In Madrid wurde ein 19-Jähriger von seinem Gastgeber eingesperrt und zu sexuellen Handlungen genötigt.

Ein Gericht in Neuseeland verurteilte einen 36-Jährigen für das Publizieren von heimlich in der Dusche aufgenommenen Videos seiner weiblichen Gäste zu über vier Jahren Haft.

Auch das gerade veröffentlichte Video, in dem der damalige Vizekanzler Österreichs Heinz-Christian Strache über die eigene Bestechlichkeit spricht und das schließlich zum Rücktritt des FPÖ-Manns führt, wurde in einer komplett "verwanzten" Airbnb-Finca auf Ibiza gedreht.

 Nur drei Fälle aus dem Airbnb-Universum, in dem sich pro Tag etwa zwei Millionen Gäste aufhalten.

"Wir sind schockiert über derartige Vorfälle, und jeder Täter wird auf Dauer von der Seite verbannt. Die Sicherheit unserer Gäste hat höchste Priorität" – so oder ähnlich antwortet Airbnb regelmäßig auf Vorwürfe hinsichtlich der fehlenden Sicherheit für Gäste.

Tatsächlich dauert es aber nur ein paar Minuten, bis ein Täter ein neues Konto eröffnet hat – und dabei häufig sogar die alten Objektfotos beibehalten kann.

Dabei gäbe es durchaus technische Möglichkeiten, einen derartigen Betrug zu verhindern, etwa eine automatische Bilderkennung.

Ist Airbnb strafbar?

Airbnb macht manche Reisende sogar selbst zu Betrügern: So erlauben Metropolen wie Berlin die "Zweckentfremdung von Wohnraum" für kommerzielle Zwecke nur mit behördlicher Genehmigung, da Airbnb reguläre Dauermieter verdrängt (Kurzzeitvermietungen sind lukrativer) und so die Preise im Quartier in die Höhe treibt.

Der Senat der Bundeshauptstadt schätzt, dass zwischen 20 000 und 30 000 Berliner Wohnungen zu Ferienzwecken vermietet werden – zehnmal mehr als genehmigt.

Doch Airbnb verweigert mit Verweis auf den Datenschutz nicht nur die Zusammenarbeit mit den Behörden, sondern auch vorbeugende Maßnahmen gegen den Missbrauch – schließlich müssten ja alle Gastgeber grundsätzlich bestätigen, sich an lokale Gesetze zu halten.

"Es wäre jedoch kein Problem, bestimmte Adressen von vornherein zu blockieren oder Genehmigungen zu verlangen", erklärt Dan Weber, früher selbst Gastgeber bei Airbnb.

Bei illegalen Airbnb-Wohnungen verpflichten die Anbieter ihre Gäste zu dringender Verschwiegenheit gegenüber allen Hausbewohnern – und machen sie so zu Mittätern ihres Betrugs.

Warum ist die Polizei hilflos?

Robert Harding geht nach seiner Flucht aus der Wohnung in Manhattan übrigens direkt zur Polizei, um Anzeige zu erstatten – und wird der entwendeten Kameras wegen des Diebstahls bezichtigt:

Schließlich befand er sich in einer Privatwohnung – und dort darf der Eigentümer beziehungsweise Mieter so viele Aufnahmegeräte anbringen, wie er möchte.

Mittlerweile hat Airbnb auf die Klagen reagiert und verlangt einen Hinweis auf installierte Sicherheitskameras von den Gastgebern gegenüber ihren Gästen – im Schlaf- und Badezimmern sind sie generell tabu.

Kontrollieren kann das Unternehmen das natürlich nicht. Und auch die Polizei ist da keine Hilfe: Die überwacht nicht die Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Vermittungsportals von Unterkünften, sondern nur die jeweils gültigen Gesetze.

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* Name von der Redaktion geändert