Zwei Freunde, eine Vision und Großvaters Werkstatt
Vorwärtsdrang: Wie zwei Hamburger Jungs mit einem Elektromoped im Café-Racer-Look an der Zukunft der Zweiradbranche schrauben.
von Alexandra Turner
Wo würde man nach der Zukunft der Mobilität suchen – am Hochglanz-Stand einer Messehalle? Im Designbüro eines großen Autokonzerns? Vielleicht, doch fündig wird man tatsächlich auch in einem kleinen Dorf in der Nähe von Hamburg. Hier haben zwei sympathische Jungtüftler in Opas Tischlerwerkstatt realisiert, was vielen Großen der Branche bisher abging: ihren E-Motorbikes eine Seele einzuhauchen.
Der retrofuturistische Traum aus Leder, Lack und Holz
Das Metorbike – so heißt der von ihnen geschaffene retrofuturistische Traum aus Leder, Lack und Holz – ist ein Elektro-Kleinkraftrad im Café-Racer-Look und stellt sich vollends in die Tradition der hausgeschraubten Rennmaschinen, auf denen dereinst die halbstarke Rockerjugend der wilden Mid-Century-Zeiten die Straßen unsicher machte, wenn sie bei teils illegalen Rennen zwischen den namensprägenden Londoner Cafés (das waren damals keine Teestuben, sondern sperrstundenbefreite Fernfahrerkneipen ohne offiziellen Ausschank) hin- und hersausten:
Das Maschinchen entspringt dem Kleinjungentraum vom Coolest Motorbike Possible, ist echte Handarbeit, lässt mit vergleichsweise ordentlich Power unter der Haube den Spieltrieb erwachen, bringt dank minimalistischem, schlankem Design mit schmalem Lenker und großem Tank das Bikerherz zum Schwärmen, ist personalisierbar und klingt, wenn man möchte, sogar nach Verbrenner.
Dranhalten, losfahren, Spaß haben
Metallgewordener Rock 'n' Roll. Was es von den von Natur aus knatternden Vorgängern unterscheidet und die Zweiradkultur einen Satz in die Zukunft katapultiert, ist der E-Antrieb, den man auf Wunsch nicht hört, aber spürt, da er dank 9,5 PS Spitzenleistung an der Ampel der benzingetriebenen Verwandtschaft der 45-km/h-Klasse das in die geölte Holzrückbank eingelassene, stilecht minimalistische Rücklicht zeigt. Der dazugehörige Akku ist gleich auf zwei Ebenen zukunftstauglich.
Einerseits versorgt er das Bike mit Strom – wer will, tankt also erneuerbare Energie statt fossilem Brennstoff – und ist zweitens ein Recyclingprodukt aus der Automobilbranche. Nachhaltigkeit war ein grundlegender Gedanke des Projekts. Ein im Lenker eingelassenes interaktives LCD-Touchdisplay zeigt Tempo und Fahrmodus an. Ein RFID-Chip ersetzt den Schlüssel. Dranhalten, losfahren, Spaß haben.
"Wie wäre es mit einem Elektro-Café-Racer?"
Den hatten und haben die beiden Konstrukteure mit ihrem Baby sichtlich. Michael (27) und Marvin (28) sind Freunde seit Schulzeiten. Es verband sie schon immer eine Faszination für heiße Öfen. Irgendwann durften sie selbst welche fahren, doch entsprach die zur Verfügung stehende Palette nicht unbedingt ihren Vorstellungen.
Während des Studiums sammelten sie Erfahrung mit dem Umbau von Verbrennermopeds, ließen sich von anderen Hobbybastlern inspirieren. Dann eines Tages auf dem Heimweg von einer Feier kam ihnen ein Gedanke: "Wie wäre es mit einem einzigartigen Elektro-Café-Racer?" Was andere am nächsten Morgen als Schnappsidee verworfen hätten, ließ die beiden nicht mehr los.
Voller Enthusiasmus ging es in Opas Werkstatt an die ersten Arbeiten. Dank Mechatronikerausbildung, Maschinenbau-, Fahrzeugtechnik- und Elektromobilitätsstudium hatten die beiden die nötigen professionellen Grundlagen parat. "Doch wir merkten schnell – sehr schnell –, wo wir an unsere Grenzen stoßen", geben die beiden unverblümt zu und lachen.
In diesem herzlichen Lachen mischt sich Stolz mit einer Spur Fassungslosigkeit und der ehrlichen Freude, ein lang gehegtes Ziel, eine große Herausforderung endlich gemeistert zu haben.
Ein Trial-and-Error-Märchen
Als Zweimann-Team. Denn auch wenn die Idee, bei der Entwicklung eines zukunftsorientierten, nachhaltig gefertigten Elektrobikes das elegante, emotionsgeladene Verbrennerdesign zu erhalten, im Umfeld auf rege Begeisterung stieß, wurde den beiden doch immer wieder unmissverständlich klargemacht: Das ist nicht zu schaffen. Nicht allein, nicht so. Doch das befeuerte bei den beiden selbst ernannten Sturköpfen den Ehrgeiz erst recht.
Sie ließen sich weder von ihrem Vorhaben noch von ihren Idealen abbringen – "Keine Kompromisse!"– und so begann ein dreijähriges Trial-and-Error-Märchen mit Happy End. Die nötigen Maschinen und Werkzeuge kamen nach und nach zusammen – und weil das Budget am Anfang knapp war, wurde die nötige Hebebühne auch einfach mal aus einem alten Krankenbett gebastelt, YouTube-Video sei Dank. Neben einem hohen Maß an Improvisationskunst waren es Lernbereitschaft und der unbedingte Wille zum Erfolg, die das Projekt vorantrieben. "Wir fertigten jedes Teil selbst."
Alles Neuland
"Holz wurde gefeilt, Leder genäht, Alu gefräst, Teile lackiert, Platinen gelötet …“ Hört man den beiden zu, scheinen sie sich nicht sicher zu sein, was dabei die größere Herausforderung war – das Bedienen der CNC-Fräse oder der neu gekauften Nähmaschine.
Neuland war auch der Gründerpart. Aus den beiden Bastler-Buddys wurden zwei Ingenieure mit einer Vision. "Wir merkten schnell, dass unsere Vorstellungen auf Begeisterung stießen. Also machten wir unser Hobby zum Beruf." Es wurden Businesspläne geschrieben, Gründerstipendien beantragt, Zulieferer gesucht. Aus dem Prototyp sollte schnell ein reproduzierbares Produkt entstehen.
Dabei hatten sie hohe Ansprüche an sich selbst: "In der Werkstatt hört man ja oft: Welcher Idiot hat das denn so entworfen?! Na ja, unsere Antwort ist da eindeutig, das waren wir selbst. Da müssen wir noch mal ran. Zum Glück waren da unsere Vorstellungen zu 99 Prozent deckungsgleich!", sagt Marvin erleichtert. "Ja, echt", ergänzt Martin, "es tut gut, zu wissen, dass sich der andere fast immer genauso entschieden hätte."
Unisono zum Erfolg. Und da steht er nun. Formschön und mit Straßenzulassung. Fragt man nach dem Fahrgefühl, beginnen die Jungs zu schwärmen: "Auch wenn es sich in der 45-km/h-Klasse bewegt: Es fühlt sich an wie ein richtiges Motorrad!" Es sieht auf jeden Fall so aus, weshalb die beiden im Sattel auch den in der Bikerszene üblichen Handgruß erhalten. "Für uns eine Auszeichnung!"
50 Bikes, 50 Stile
Nun steht der nächste Schritt an. 50 Metorbikes wollen die beiden noch in Eigenregie fertigen. Ihre Version des Proof of Concept. 50 Puch-Mofa-Rahmen haben sie dafür zusammengesammelt, auf denen nun die limitierte Erstauflage aufbaut. Customisation ist dabei Ehrensache.
"Wir haben das Fahrzeug geschaffen, welches wir selbst fahren wollen. Jetzt möchten wir das 50 weiteren Menschen ermöglichen." Interessenten können sich ganz Café-Racer-konform das Holz, das Leder, die Lackierung und die Veredelungen aussuchen, um das jeweilige Bike individualisieren zu lassen. Pretty in Pink zu mattschwarzem Leder auf Griffen und Sitz? Oder lieber klassisch in British Racing Green mit gestepptem Lederpolster und geölter Mahagonibank? Geschmack ist Key. Der richtige Look zur Stimmung die Grundidee des Projekts.
Dabei muss man sich auch nicht entscheiden, ob man das Bike im Anzug und Integralhelm oder mit Bootcut-Jeans und Halbschale ausführt. Hält man mit ihm vor einem Café, egal ob Flat-White-Szenetreff der Schanze, nobles Kaffeehaus in der Hafencity oder Filterkaffeetanke am Truck-Stop, werden sich alle Blicke auf dieses Gefährt richten. Garantiert.