Tauchgang mit einem Shark Tagger
Einmal tief Luft holen, bitte: Freediver Fred Buyle nutzt seine außergewöhnlichen Fähigkeiten zugunsten der Wissenschaft und des Meeresschutzes. Seine Fachgebiete sind die Unterwasserfotografie und das händische Markieren von Haien.
von Alexandra Turner
Der Blick in die Tiefe ist einlullend. Der Mann im schwarzen Wetsuit hält sich mit einer Hand am Seil des Schlauchboots fest, mit der anderen sichert er einen orangen, torpedoartig geformten Sender und starrt gebannt ins unendliche Blau des Atlantischen Ozeans.
Dann endlich lösen sich unten in der Tiefe die gesuchten Schatten: Drei Blauhaie, gut zu erkennen an der schlanken Silhouette mit der spitzen Schnauze, nähern sich dem Boot. Jetzt heißt es einatmen, abtauchen und den Raubfischen die Schlinge umlegen.
Die stille Eleganz des Unterwasser-Cowboys
Hier, wenige Seemeilen vor der Küste der portugiesischen Azoren, ist einer der wenigen Orte weltweit, an dem man beim Tauchen relativ sicher auf Blauhaie trifft. Die Begegnung mit den großen, wendigen Jägern ist ein spektakuläres Ereignis, das jährlich zahlreiche Hobbytaucher in diese Gewässer lockt. Doch der Mann, der bei dieser Expedition ins Wasser geht, ist kein Tourist.
Der Profi-Apnoetaucher Frédéric, kurz Fred, Buyle nutzt seine herausragenden Fähigkeiten im Auftrag der Wissenschaft. Sobald die Tiere nahe genug sind, die Stimmung gecheckt, gleitet er scheinbar mühelos hinab, um den agilen, ständig in Bewegung bleibenden Raubfischen wie beim Rodeo eine Schlinge umzulegen.
Doch während Cowboys an Land dabei mit viel Staub, Geschrei und Tamtam agieren, hat das Unterwasserpendant eine stille Eleganz. Die Prozedur im wabernden Licht unter den Wellen erinnert vielmehr an die traditionelle hawaiianische Begrüßungszeremonie – und ist tatsächlich als respektvolle Geste gemeint.
Denn die mit der Schlinge angebrachten Sender sind im Gegensatz zu harpunengeschossenen eine non-invasive Methode, um das Verhalten der Tiere zu studieren. Jorge Fontes, ein einheimischer Meeresökologe am Okeanos-UAc-Marinezentrum der Universität der Azoren, leitet ein Forscherteam, das diese Tagging-Methode nutzt, um das natürliche Verhalten der charismatischen Plattenkiemer zu untersuchen.
Der Schutz der Hochseehaie
Die innovativen Sender liefern Daten zu Beschleunigung, Magnetismus, Geschwindigkeit, Tiefe und Temperatur sowie HD-Videos, dank roter LEDs auch nachts. Nach spätestens 48 Stunden löst sich das Lasso auf und das Messgerät treibt an die Oberfläche, wo es dank GPS geortet und zur Auswertung eingesammelt werden kann. Den Hai störe es nur marginal. Denn was nützen einem in diesem Zusammenhang schon die Daten von Probanden, die sich nicht wohlfühlen?
Der Blauhai, Prionace glauca, wie die Art biologisch korrekt heißt, ist wie die Gattung im Allgemeinen stark bedroht. Die bis zu dreieinhalb Meter großen Hochseehaie sind beliebte Rekordtrophäen mariner Großwildjäger, trauriger Beifang der kommerziellen Schleppnetz- oder Leinenfischerei und landen in Japan immer noch in der Suppe.
Auf diese Weise sterben jährlich zwischen zehn und 20 Millionen Tiere qualvoll. Zeit, sich für ihren Schutz einzusetzen und ihre Gewohnheiten besser zu erforschen. Bekannt ist, dass die neugierigen Hochseehaie gern tief tauchen. Allerdings müssen sie danach auch wieder an die Oberfläche kommen, um sich aufzuwärmen – und das ist der perfekte Zeitpunkt für ein Meet and Greet mit den dank der großen Augen sympathisch dreinblickenden Kiemenatmern.
Fred Buyle ist schon mit vielen faszinierenden Meerestieren getaucht, darunter Orcas, weiße Haie, Mantarochen, und war Zeuge großartiger Ereignisse wie der Geburt eines Pottwalbabys.
Als Freitaucher hat er den Vorteil, sich weder von sperriger Ausrüstung behindern zu lassen noch sein maritimes Gegenüber mit Blubberblasen zu irritieren. Das allein ist jedoch nicht genug im Angesicht der größten Räuber der Meere. Man muss sie auch lesen können – und verstehen wollen.
"Schönsten und unglaublichsten Geschöpfe"
"Ja, Haie werden gefürchtet, aber für mich sind das die schönsten und unglaublichsten Geschöpfe des Planeten!", sagt er und nickt dabei todernst, bevor ein einnehmendes Lächeln sein Gesicht erhellt. Fred Buyles Begeisterung für den Ozean und alle seine Geschöpfe ist ansteckend und entwaffnend.
Das ist auch einer der Gründe, weshalb der Belgier eine prädestinierte Gallionsfigur für den Meeresschutz ist. Ein weiterer sind seine beachtlichen Fähigkeiten. Der 50-jährige Unterwasserfotograf ist passionierter Freitaucher, stellte seinerzeit in den Neunzigern regelmäßig Rekorde im Tieftauchen auf und konnte unter Wettkampfbedingungen bis zu sieben Minuten im Pool unter Wasser bleiben.
Heute lebe er von diesem Erbe, sagt er. Hier draußen im Einsatz beim Fotografieren und Markieren der Blauhaie bleiben ihm anderthalb bis drei Minuten, um Auge in Auge, als gleich und gleich mit den faszinierenden Lebewesen zu schwimmen. "Das ist mehr als genug", versichert Fred mit einem erneuten Nicken und beweist damit, dass Zeit relativ ist.
"Man muss kein guter Schwimmer sein"
Einen sehr guten Taucher erkennt man an seiner Aura. Hektik ist ihm fremd. Es sind die eleganten, minimalen Bewegungen und Gesten, die ihn verraten. Was sonst noch wichtig ist? Luft anhalten allein ist jedenfalls nicht der Schlüssel. Der landgeeichte Körper muss auch lernen, im Wasser zu funktionieren, mit der Tiefe, dem Druck umzugehen.
"Man muss kein guter Schwimmer sein, um zu tauchen", versichert er. "Ich war gut mit Flossen und Schnorchel, aber Freitauchen kann wirklich jeder lernen." Da spricht einerseits der motivierende Apnoetrainer aus ihm, andererseits scheint ihm unsere aquatische Herkunft tatsächlich wieder in Fleisch und Blut übergegangen zu sein.
"Es liegt tief verborgen in unseren Genen. Doch der Erfolg kommt nicht über Nacht, es ist ein Adaptionsprozess, der langsam vonstattengeht." Wer ihm nicht glaubt, der solle doch einfach mal sein Gesicht in kaltes Wasser tauchen.
Kaltes Wasser senke die Herzfrequenz, das sei ein schönes Experiment für den Start. Fred muss es wissen, er taucht schon, seit er zehn Jahre alt ist. Zwar hat er sich auch schon im Fechten, Eishockey oder Skitouring versucht (in den Bergen trainiere es sich aufgrund des geringen Sauerstoffgehalts besonders gut), doch fühlt er sich nirgends so daheim wie im Meer. Bis auf 30 Meter Tiefe weiß er auch ohne Manometer genau, wo er ist. "Ich spüre es am Druck auf der Lunge."
Kein Extremsport, kein Skydiving
Wenn man ihn nach dem Risiko fragt, hebt er die Hände und lacht: "Für mich ist das kein Extremsport, weil nichts schnell passiert. Es ist ja kein Skydiving."
Es habe im Laufe der Jahre mal kleinere Blackouts gegeben, aber es sei nie etwas Schlimmes passiert. Und die Haie? Hier wehrt er noch heftiger ab: "Es gibt keine gefährlichen Haie, es gibt nur gefährliche Situationen."
Deshalb sei vor jedem Tauchgang auch ein genaues Prüfen der Lage wichtig. Ist die Stimmung schlecht, wird abgebrochen, auch wenn man zuvor bereits vier oder fünf Stunden im Wasser verbracht hat, um ein Tier anzulocken. Man braucht die Gelassenheit, das akzeptieren zu können. Ungeduld kann tödlich enden.
Handlungsbedarf - für alle
Zwei weitere große Lehren habe ihm das Freitauchen mitgegeben. Erstens: "Bubbles always go up", sagt er und grinst. Zweitens: "Keep it simple!" Verbrauche so wenig wie möglich. Das gilt für den Sauerstoff genauso wie für jede andere Ressource.
"Ich versuche, so ressourcenschonend wie möglich zu agieren, im Wasser, aber auch im Leben an Land. Mein Auto beispielsweise ist sehr nachhaltig. Jetzt bitte nicht lachen. Es ist ein alter Pick-up-Truck von Toyota, Jahrgang 1986. Einfach ein bisschen Öl, ein bisschen Diesel und er funktioniert seit Jahren. Kein Ersatzteil nötig, keine Reparatur."
Freds Flugmeilen wiederum sind ein berufsbedingtes Gepäck, das er ebenfalls zu reduzieren gedenkt. Die Pandemie habe ihm radikal vor Augen geführt, wie sehr es sich lohnt, lokal zu arbeiten.
Die derzeit veröffentlichten Daten diverser Meeresschutzorganisationen tun ihr Übriges: Laut WWF erwärmt sich das Mittelmeer 20 Prozent schneller als der Rest des Planeten, es ist das am meisten überfischte Meer der Welt, verzeichnet die weltweit höchste Konzentration an Plastikmüll und mehr als die Hälfte der 80 hier heimischen Hai- und Rochenarten ist vom Aussterben bedroht. Es besteht akuter Handlungsbedarf – für uns alle.