Nuclear Football: Kann diese Tasche die Welt vernichten
In dezentem Schwarz, 20 Kilo schwer und immer in der Nähe des US-Präsidenten: Der Nuclear Football enthält den Schlüssel zur Auslöschung der menschlichen Zivilisation – und ist verblüffend leicht zu bedienen …
Fünf Schatten kleben am Präsidenten der Vereinigen Staaten von Amerika, sobald er das Weiße Haus verlässt. Unter den fünf Adjutanten im Range eines Majors oder höher, einer für jede der fünf Teilstreitkräfte des Landes, befindet sich der mächtigste Kofferträger der Erde: Einer der Männer mit "Yankee White 1", der höchsten Sicherheitszertifizierung des US-Verteidigungsministeriums, hält eine Art Weltvernichtungsmaschine in seinen Händen: den sogenannten Nuclear Football, mit dem der Präsident als Oberbefehlshaber der US-Truppen alle seine Feinde auf einmal eliminieren könnte – das Land verfügt über mindestens 4000 Atomsprengköpfe, rund 1500 gelten als ständig einsatzbereit …
Gibt es den "Roten Knopf"wirklich?
Optisch kommt die präsidiale Notfalltasche der Reisegepäckmarke Zero Halliburton schlicht daher: ein Aluminiumgerüst, mit schwarzem Leder überzogen. Im Nuclear Football befindet sich (im Unterschied zu vielen Exemplaren aus Hollywood) kein großer, roter Auslöse-Knopf. Vielmehr dient der Inhalt der Identifikation des Benutzers und der Kommunikation mit dem militärischen Kommandozentrum der US-Truppen. Einmal offen, würden sich dem US-Präsidenten zahlreiche militärische Optionen von selektiver Zerstörung bis zum Maximalschlag bieten. Der Oberst i. R. Buzz Patterson beschreibt das als eine Art "Auswahl-Menü wie in einem Schnellrestaurant", also etwa Moskau, Teheran und Pjöngjang vernichten, Damaskus aber nicht.
Das Kurz-Menü ist ein Vermächtnis des früheren US-Präsidenten Jimmy Carter, im Unterschied zu seinem derzeitigen Nachfolger Donald Trump immerhin Ingenieur, studierter Kernphysiker und einst als Militär bei der Atom-U-Boot-Flotte stationiert. Ihm war die mehrere Kilogramm schwere Dokumentation im Koffer zu kompliziert. Denn sollten sich im Ernstfall tatsächlich nuklear bewaffnete Raketen im Anflug befinden, bleiben nur wenige Minuten Bedenkzeit: Ein unwirklicher Augenblick, der den Präsidenten vielleicht mitten in der Nacht oder unter der Dusche ereilt – in einer einsamen Entscheidung muss er dann abwägen, ob er Technik und Nachrichtendiensten vertraut und Millionen Menschen der Vernichtung preisgibt. Der psychische Druck in diesem Moment ist kaum vorstellbar. John F. Kennedy bekam im Herbst 1962 davon eine Ahnung …
John F. Kennedy und die Kuba-Krise
Am Morgen des 16. Oktobers erfährt der 35. Präsident der USA, dass die Sowjetunion Atomraketen auf Kuba installiert hat und innerhalb von fünf Minuten nicht nur Washington, sondern alle wichtigen Industriestädte der USA auslöschen kann. Die Kuba-Krise ist der heißeste Moment des gesamten Kalten Krieges – und die Geburtsstunde des Nuclear Football. Zur Erinnerung: Zwischen den beiden bis an die Zähne bewaffneten Supermächten USA und Sowjetunion gilt die als MAD (zu Deutsch "wahnsinnig") abgekürzte Doktrin "Mutually Assured Destruction" ("Gegenseitig zugesicherte Zerstörung"). Sie verlangt, dass die USA auch nach einem erfolgreichen atomaren Erstschlag der Sowjetunion noch genügend Atomwaffen zünden können, dass sie bis zu einem Drittel der Bevölkerung des Gegners und zwei Drittel von dessen Industrie vernichten können.
Planen die Russen den Erstschlag? Angesichts von Nuklearwaffen vor ihrer Haustür sind die Nerven der US-Generäle zum Zerreißen gespannt. "Was müsste ich dem nationalen militärischen Kommandozentrum sagen, um einen sofortigen Nuklearschlag auszulösen? Und was tut die Person am anderen Ende der Leitung, um meine Anweisung zu prüfen?", fragt Kennedy die Generäle. Die Antworten lassen ihn erschaudern: So öffnen nicht nur fehlende Kontrollmechanismen Irrtümern und Missverständnissen und damit einer möglichen Vernichtung der Zivilisation Tür und Tor. Bis zur Kuba-Krise war die furchtbarste Waffe der Menschheitsgeschichte zudem nicht einmal sicher "abgeschlossen": Ein Pilot oder U-Boot-Kommandant hätte eigenmächtig Atombomben einsetzen können.
Tatsächlich führt ein paar Tage später General Thomas Power das Land in die zweithöchsten Alarmstufe, an die Schwelle zum Atomkrieg, mit den Bombern schon in der Luft. Das führt schrittweise zu einer weniger fehleranfälligen Befehlskette, an deren Anfang der Nuclear Football steht. Doch sollte sich der US-Präsident zu einem Atomschlag entscheiden, könnten auch heute noch Minuten später die ersten Raketen aufsteigen …
Wie viele Zeichen Braucht die Apokalypse?
Kann sich der Landesherr der USA als US-Präsident authentifizieren, geht nach einer vorgeschriebenen, mindestens 30 Sekunden langen Konsultation mit Top-Militärs eine etwa 150 Zeichen lange, verschlüsselte Nachricht an alle Kommandozentren weltweit und an die sogenannten Launch Crews, zum Beispiel an Bord der U-Boote. Darin enthalten ist die Nummer des Angriffsplans, die Startzeit und diverse Codes zum Entsperren der Nuklearwaffen. Die Crews öffnen damit Safes, in denen sie an die Schlüssel bzw. weitere Codes gelangen, programmieren die Angriffsziele und starten zur Zielzeit die Raketen. Formal muss der Verteidigungsminister den Befehl des US-Präsidenten ausführen. Sollte er sich weigern, könnte der Präsident ihn durch eine willfährigere Person ersetzen. Und einmal in der Luft, lassen sich die sich am Ende mit bis zu 24-facher Schallgeschwindigkeit bewegenden Raketen nicht mehr zurückrufen …
Aber was hat das 20-Kilogramm-Täschchen nun eigentlich mit einem Fußball zu tun? Die Wurzeln des Namens liegen in einem der ersten nuklearen Kriegspläne der USA mit dem Code-Namen "Dropkick" – benannt nach einem Schuss, den man mit einem (American) Football ausführt. Zum Nuclear Football gehört heute außerdem eine 13 x 7 Zentimeter große Code-Karte: Den sogenannten Biscuit (Keks), eine Art Passwort-Schlüssel, trägt der Präsident immer am Mann – es sei denn, er heißt Bill Clinton. Denn der hatte seinen Biscuit im Jahr 2000 tatsächlich für mehrere Monate verlegt. Hätten die falschen Leute diese Karte gefunden, vielleicht wäre die Welt dann heute eine andere …