Jürgen Bartsch: Der Kirmesmörder von Essen
Jürgen Bartsch ging als Kirmesmörder von Essen in die Geschichte ein, weil er seine jungen Opfer auf dem Jahrmarkt aufgabelte. Zwischen 1962 und 1966 missbrauchte, tötete und zerstückelte der Serienkiller vier Jungen.
Jürgen Bartsch: Kindheit
Jürgen Bartsch träumte Jahrzehnte lang davon, kleine Jungen zu töten – auch, nachdem er es längst getan hatte und dafür eingesperrt worden war. Seine Gewaltfantasien quälten den Metzgersohn so sehr, dass er 1973 – drei Jahre vor seinem Tod – eine triebhemmende Gehirnoperation beantragte, die die Mordlust aus ihm hätte tilgen sollen.
Doch wie konnte es überhaupt soweit kommen? Wie wurde aus dem Waisenkind Karl-Heinz Sadrozinski der Kirmesmörder Jürgen Bartsch, der im Alter von 19 Jahren nach vier grausamen Morden festgenommen werden konnte?
Wer war Jürgen Bartsch?
Für die Wissenschaft gilt Jürgen Bartsch als psychologisches Lehrstück: Im Prozess gegen ihn, Ende der 60er Jahre, standen erstmals nicht nur die Taten im Fokus, sondern vor allem die Frage nach dem Warum.
Warum war aus Jürgen Bartsch ein pädosexueller Kindesmörder geworden? Psychologen, Gutachter, Richter – sie alle versuchten, den Kirmesmörder zu verstehen.
Ganz gelungen ist das bis heute nicht.
Jürgen Bartsch kam am 6. November 1946 in Essen als Karl-Heinz Sadrozinski zur Welt. Seine Mutter Anna starb nach der Geburt an Tuberkulose, sein Vater war unbekannt. Die ersten elf Monate seines Lebens verbrachte das nichteheliche Waisenkind im Krankenhaus ohne fest Bezugsperson – später sollte dieser Umstand von Gutachtern als Grundlage von Bartschs sadistischer Persönlichkeit bezeichnet werden.
Jürgen Bartsch: Eltern
Dabei wurde das Leben des Jungen erst richtig traumatisch, als das wohlhabende Metzgerehepaar Gertrud und Gerhard Bartsch aus Essen sich seiner annahm. 1947 holten die beiden den Jungen zu sich, 1954 wurde die Adoption rechtskräftig.
Zu diesem Zeitpunkt hieß Karl-Heinz schon längst Jürgen und war der bizarren Erziehung seiner Adoptiveltern hilflos ausgeliefert. Das Ehepaar schottete das Kind von der Außenwelt ab: Jürgen sollte nie erfahren, dass die Bartschs nicht seine leiblichen Eltern sind. Freunde oder andere soziale Kontakte wurden ihm untersagt.
Sein Vater war stets bestrebt, "einen echten Mann" aus seinem Jungen zu machen, was Jürgen sicherlich zutiefst verstörte.
Es war allerdings seine Mutter, die ihn schwer traumatisierte. Gertrud Bartsch soll unter einem extremen Sauberkeitswahn gelitten haben, den sie ihrem Sohn, wenn nötig, auch mit körperlicher Gewalt aufzwang.
Außerdem unterlag Jürgen ihrer totale Kontrolle: Die Mutter legte ihrem Sohn bis zum Tag seiner Verhaftung die Kleider, die er tragen musste, zurecht, überwachte (beinahe) jeden Schritt ihre Schützlings und badete ihn bis in seine späte Teenagerzeit. Wie beim Serienmörder Gary Ridgway, dem "Green River Killer" umfassten diese Baderituale auch das Waschen der Genitalien.
Jürgen Bartsch sagte in einer der Vernehmungen nach seiner Verhaftung einmal, dass er eines Tages einfach akzeptiert hätte, dass seine Mutter ihn wäscht.
Jürgen Bartsch: Jugend
Im Alter von zehn Jahren steckten Gertrud und Gerhard Bartsch ihren Sohn in ein Heim. Jürgen war zu rebellisch geworden und störte das Familienleben. In dieser Zeit entdeckte er zufällig auch, dass er adoptiert war.
Zwei Jahre später kam der Junge in ein katholisches Internat, wo er eigenen Angaben zufolge von einem der Erzieher sexuell missbraucht wurde.
Wie schon in seiner Adoptivfamilie erfuhr Jürgen Bartsch im Internat vollkommene Willkür vonseiten der Erwachsenen. Inmitten der Strafen, des Missbrauchs und der Erniedrigungen keimten in ihm erste Gewaltfantasien auf:
Er wollte nicht länger Opfer sein, er wollte Macht und Kontrolle ausüben.
1961 setzte er diese Fantasien das erste Mal in die Tat um und attackierte einen Dorfjungen in Langenberg bei Velbert (Rheinland), den er anschließend in einem ehemaligen Luftschutzbunker im Ortsteil Oberbonsfeld sexuell missbrauchte. Dieses Opfer ließ Bartsch am Leben und so kam es zu einer Anzeige wegen Körperverletzung. Der Metzgersohn konnte sich allerdings glaubhaft herausreden: Er habe sich mit dem Opfer lediglich "gebalgt".
Nach diesem Erlebnis wurden die sadistischen Fantasien Jürgen Bartschs immer intensiver. Bis er ihnen nachgab.
Jürgen Bartsch: Opfer
Sein erstes Opfer tötete Jürgen Bartsch am 31. März 1962, kurz nach seinem Rausschmiss aus dem Internat: Klaus Jung war gerade einmal acht Jahre alt, als Bartsch ihn in den Luftschutzbunker an der Heeger Straße brachte, sich an ihm verging und dann tötete. Die Leiche vergrub der damals 15-Jährige im Luftschutzbunker.
Nach seiner Verhaftung Ende der 70er gab Jürgen Bartsch die letzten Worte seines ersten Opfers zu Protokoll:
Über drei Jahre vergingen, bevor Jürgen Bartsch, der inzwischen in der Metzgerei seiner Eltern arbeiten musste, erneut zuschlug. In dieser sogenannten Cooldown-Phase habe er zunächst keine Gewaltfantasien gehabt, berichtete Bartsch später. Erst als diese mächtiger als zuvor zurückkamen, wurde er erneut zum Mörder.
Drei weitere Jungen fielen dem Kirmesmörder zum Opfer:
• 6. August 1965: Peter Fuchs, 13 Jahre
• 14. August 1965: Ulrich Kahlweiß, 12 Jahre
• 6. Mai 1966: Manfred Graßmann, 11 Jahre
Dabei ging Jürgen Bartsch immer ähnlich vor: Er sprach die Kinder an – sein letztes Opfer auf der Kirmes in Essen, was ihm seinen Spitznamen einbrachte –, lockte sie unter einem Vorwand zum Luftschutzbunker, missbrauchte und tötete sie.
Am 18. Juni 1966 unterlief Jürgen Bartsch dann der entscheidende Fehler. Er hatte den 14-jährigen Peter F. in seine Höhle gelockt. Doch anstatt ihn wie die anderen direkt zu töten, fesselte er ihn und ging nach Hause zum Abendessen mit seinen Eltern. Die Kerze, die Bartsch in seinem tödlichen Versteck hatte brennen lassen, nutzte Peter F., um seine Fesseln zu lösen. So konnte er fliehen und die Polizei verständigen. Schnell fand die Polizei den Bunker und darin die Reste der vier Jungenleichen.
Drei Tage später wurde Jürgen Bartsch festgenommen. Der Serienmörder gestand seine grauenvollen Taten ohne Umschweife.
Jürgen Bartsch: Prozess
Am 27. November 1967 begann der Prozess gegen den Kirmesmörder von Essen vor dem Landgericht Wuppertal. Zunächst wurde Jürgen Bartsch zu einer lebenslangen Zuchthausstrafe verurteilt.
Erst im Revisionsverfahren, das von der Frage nach dem Warum geprägt war, wurde der vierfache Mörder 1971 zu einer Jugendstrafe von zehn Jahren und einer anschließenden Unterbringung in der Heil- und Pflegeanstalt Eickelborn verurteilt.
1973 beantragte Bartsch eine triebhemmende Gehirnoperation: Er wollte sich dauerhaft von seinen Gewaltfantasien befreien. Diese Operation wurde allerdings nicht genehmigt.
Stattdessen unterzog sich der Kindesmörder am 28. April 1976 einer chirurgischen Kastration, die er nicht überleben sollte: Durch die Verabreichung eines falschen Betäubungsmittels erlitt Jürgen Bartsch auf dem OP-Tisch einen tödlichen Kollaps.
Jürgen Bartsch in Film, Fernsehen und Büchern
Wie so viele seiner Serienmörder-Kollegen fasziniert Jürgen Bartsch die Popkultur bis heute.
Schriftsteller Heinz Strunk beispielsweise stellte seinem Roman "Der goldene Handschuh" über Fritz Honka, den Fatih Akin 2018 bildgewaltig verfilmte Zitate Bartschs voran.
Als eindrücklichster Film über Jürgen Bartsch gilt "Ein Leben lang kurze Hosen tragen" aus dem Jahr 2002:
Der Film basiert auf dem Buch "Jürgen Bartsch: Selbstbildnis eines Kindermörders" des Deutschamerikaners Paul Moor und ist deswegen so interessant, weil Bartsch und Moor sich zwischen 1968 und 1976 über 200 Briefe schickten. Jürgen Bartsch schrieb darin ausführlich über seine Kindheit, sein Leben und sein Seelenleben – und wer könnte den Kirmesmörder von Essen besser verstehen als der Mörder sich selbst?