Andrei Tschikatilo: Die Bestie von Rostow am Don
Andrei Tschikatilo ist Familienvater, Ehemann, Akademiker, Lehrer – Serienmörder. Der Fall der "Bestie von Rostow" sollte eine der größten und schlimmsten in der sowjetischen Kriminalgeschichte werden. Was hat diesen Mann dazu gebracht, 53 Menschen zu töten?
- Andrei Tschikatilo: Die Bestie von Rostow am Don
- Die Kindheit von Andrei Tschikatilo
- Tschikatilo als junger Erwachsener
- Tschikatilos erster sexueller Übergriff
- Das Haus von Tschikatilo
- Die Morde des Andrei Tschikatilo
- Kannibalistisch, sadistisch, nekrophil
- Die Suche nach dem Mörder
- Nach 12 Jahren Mord: Die Verhaftung
- Der Prozess von Tschikatilo
- Tschikatilo gibt sich als Opfer
- Hinrichtung & Tod von Andrei Tschikatilo
Andrei Tschikatilo: Die Bestie von Rostow am Don
Schmächtig ist er, mit Bauchansatz, Hornbrille, schütterem Haar. Zu Hause wartet die Familie. Wenn er nach draußen geht, ist seine Ledertasche immer dabei. Darin: ein Seil und Messer. Töten geht immer.
Und die Opfer, sie müssen bluten. Um ihr Leben kämpfen. Erst dann empfindet Andrei Romanowitsch Tschikatilo Befriedigung, kann endlich ejakulieren. Der Orgasmus kommt mit der brutalen Tötung der Opfer, nicht beim Sex.
Tschikatilo, der als “Die Bestie von Rostow“ und “Der Schlächter von Rostow“ bekannt wird, tötete 53 Menschen, vor allem Jugendliche, Kinder und junge Frauen, zwischen 1978 bis 1990. Wie konnte ein Ehemann und Familienvater zu so schrecklichen Taten fähig sein?
Die Kindheit von Andrei Tschikatilo
Man muss tief in die Vergangenheit zurück, um eine vage Vorstellung davon zu haben, was Andrei Romanowitsch Tschikatilo zu einem Serienmörder machte.
Tschikatilo wird am 16. Oktober 1936 in Jablotschnoje, einem Dorf in der Ukrainischen Sowjetrepublik, geboren. Es ist die Zeit Josef Stalins. Drei Jahre zuvor herrschte eine Hungersnot, die viele Menschen zum Kannibalismus trieb.
Tschikatilos Mutter erzählt ihrem Sohn immer wieder, sein Bruder sei ein Opfer von Kannibalisten gewesen. Bewiesen wurde das nie.
Psychologen vermuten später, dass er durch ein anderes Trauma geprägt sein könnte: Seine Mutter war 1943 schwanger, der Vater zu dieser Zeit aber in der Roten Armee. Daher ist eine Vergewaltigung durch einen deutschen Soldaten möglich – und die könnte Tschikatilo als Kind beobachtet haben.
Als Tschikatilos Vater endlich aus dem Krieg kommt, ist er an Tuberkulose erkrankt. Der junge Andrei muss Bombardierungen und Erschießungen mitansehen. In der Schule hänseln ihn die Mitschüler, er ist Bettnässer und hat eine Sehstörung. Nur mit Kindern, die jünger sind als er, fühlt er sich wohl.
Tschikatilo als junger Erwachsener
Mit 21 Jahren leistet Tschikatilo Militärdienst bis zum Jahr 1960. Zum Ende seiner Teenagerzeit stellt er fest, impotent zu sein.
Er arbeitet als Nachrichtentechniker in Berlin, Lagerverwalter in Rostow, schreibt patriotische Zeitungsartikel und tritt der KPdSU bei.
Tschikatilos Freundin möchte Sex mit ihm, doch er kann nicht aufgrund seiner Impotenz. Sie wendet sich an eine Freundin, die plaudert. Das Dorf erfährt von Andreis Problem. Der ohnehin fragile Ukrainer fühlt sich gedemütigt, hat mit starken Selbstzweifeln zu kämpfen.
1963 heiratet Tschikatilo mit 28 Jahren eine andere Frau, wird im Laufe der nächsten sechs Jahre Vater einer Tochter und eines Sohnes. Durch einen nicht näher bekannten Befruchtungsvorgang klappte es mit dem Nachwuchs.
Tschikatilos erster sexueller Übergriff
Tschikatilo ist gebildet. Er macht 1970 einen Abschluss an der Universität von Rostow in Russischer Literatur und Sprache, Ingenieurwesen sowie Marxismus-Leninismus. Mit seiner Familie führt der Akademiker nach Außen ein gutbürgerliches Leben.
Die Fassade steht – doch in seinem Inneren ist er verzweifelt: Impotenz und Universitätsabschluss passen für ihn nicht zusammen.
Als 34-Jähriger fängt er eine Stelle als Russisch- und Sportlehrer an. Akzeptanz und Anerkennung erhofft er sich. Doch stattdessen erfährt der Familienvater Erniedrigung. Die Schüler nehmen ihn nicht ernst. Treten ihn, demütigen ihren Lehrer, der für sie keine Autoritätsperson ist.
Die Wut auf seine Impotenz kommt vor allem hoch, wenn Tschikatilo verliebte Paare sieht und sich ihre sexuellen Aktivitäten vorstellt. Doch er – das Genie – kann keinen Sex mit einer Frau haben. Ungerecht, sauer auf die Welt, brodelt es in ihm: Es ist die Quelle seines Zorns auf die Menschen.
Beim Schwimmunterricht fasst er 1973 einer 15-jährigen Schülerin an die Brüste und den Genitalbereich. Mehrere sexuelle Übergriffe folgen, die alle ohne Konsequenzen bleiben.
Nach seiner Entlassung 1974 beginnt Andrei Tschikatilo eine neue Stelle als Lehrer in Schachty, 80 Kilometer von Rostow am Don entfernt. Wieder belästigt er Kinder sexuell.
Das Haus von Tschikatilo
Tschikatilo kauft 1978 ein marodes Haus in Schachty. Seine Frau weiß nichts von dem Doppelleben ihres Mannes. Es ist ein Ort nur für ihn allein.
Am 22. Dezember 1978 trifft er zufällig auf Jelena Sakotnowa. Er lockt die Neunjährige in seine Hütte, vergeht sich an ihr – und tötet sie mit mehreren Messerstichen. Das Morden bringt ihm die gesuchte Befriedigung. Macht über jemanden zu haben, erregt ihn.
Nach zwei Tagen wird ihre Leiche in einem nahegelegenen Fluss gefunden. Obwohl die Polizei Blutspuren in Tschikatilos Hütte findet, wird er nicht verdächtigt – weil dieser unscheinbare Mann keine Vorstrafen hat. Und noch dazu ist er Parteimitglied, Familienvater und Ehemann. So jemand tötet doch kein Kind.
Die Morde des Andrei Tschikatilo
Bis zu seinem nächsten Mord dauert es über zwei Jahre. Tschikatilo hat Sorge, gefasst zu werden. Er verhält sich unauffällig. Seine Stelle als Lehrer beendet er und fängt einen neuen Job an. Als Lagerverwalter einer Fabrik in Rostow muss er Dienstreisen durch die UdSSR antreten – allein.
“Er kämpfte mit sich“, sagt der ehemalige FBI-Profiler Ray Hazelwood in der Dokumentation “Andrei Tschikatilo – das Monster von Rostow“. “Ich glaube nicht, dass er sich damit abfinden wollte, ein böser Mensch zu sein.“
Am 3. September 1981 verliert Tschikatilo nach zwei Jahren die Kontrolle über seine dunkle Seite. Die 17-jährige Larissa Tkatschenko ist sein zweites Opfer.
“Sex war nur das Instrument. Was er eigentlich wollte, war das Gefühl der Macht über seine Opfer“, erklärt Jack Levin, Professor der Kriminologie in der Doku.
Die Morde werden brutaler. “Es war eine Art Racheakt. Er war zornig auf die Menschen - besonders auf Frauen und er fand seine Genugtuung, indem er sich an denen rächte, die ihn am meisten zurückwiesen.“
Kannibalistisch, sadistisch, nekrophil
Zwischen 1981 und 1990 lockt er Kinder, junge Frauen und Männer zwischen neun und 45 Jahren an verschiedenen Orten zu unterschiedlichen Plätzen. Mal ist es ein Waldstück Rostows, mal ein öffentlicher Park oder eine Bahnstation – oder die Wohnung seiner Tochter.
Bei den Taten geht er stets brutal vor, oft geht den Morden eine Vergewaltigung voraus – und er vergeht sich auch nach deren Tod an seinen Opfern. Tschikatilo ist sadistisch, nekrophil, kannibalisch.
Manchmal beißt er zu, wenn sein Opfer schon tot ist. Reißt Hautstücke heraus.
Er schneidet Genitalien ab, Zungen, sticht mit dem Messer in die Augen. Er isst das Menschenfleisch, Geschlechtsteile. Tschikatilo zerfleischt seine Opfer regelrecht mit 30 Messerstichen, manchmal sind es 50.
Und er entnimmt getöteten Frauen die Gebärmutter, um daran zu knabbern. “Sie waren so rosa und elastisch“, erklärt er in seiner Vernehmung.
Die Suche nach dem Mörder
Anfang der 80er vermutet die Polizei zunächst einen satanischen Kult oder eine Organmafia hinter den Morden. Obwohl klar war, dass ein Serienmörder sein Unwesen treibt, verbietet die sowjetische Polizei und die von der kommunistischen Partei KPdSU kontrollierten Medien die Veröffentlichung von Informationen.
1984 wird Tschikatilo in Rostov verhaftet, weil er mit einer Prostituierten öffentlich intim wird. In seinem Koffer sind Vaseline, Seile, Messer. Ein Tötungsset. Nach seiner Vernehmung wird er entlassen – als vermeintlich guter, unscheinbarer Bürger.
Ein Bluttest, den Tschikatilo abgeben musste, geht verloren. Zu diesem Zeitpunkt hatte er bereits 23 Menschen getötet.
Die Polizei von Rostow setzt das amerikanische Profiling mithilfe des Psychiaters Alexander Buchanowski ein, kontrolliert jeden, der annährend verdächtig scheint. In zwölf Jahren entnehmen die Beamten insgesamt 165.000 Blutproben, überprüfen 500.000 Menschen und fünf Millionen Einwohnermeldekarten.
Unschuldige werden geprügelt, begehen Selbstmord. Der 25-jährige Alexander Krawtschenko wird zu Unrecht verhaftet und für Tschikatilos ersten Mord an Jelena Sakotnowa hingerichtet.
Eine Evakuierung der Stadt wird 1984 angedacht, um den Mörder zu finden. An allen Eisenbahnstrecken um Rostow patrouillieren über 600 Milizbeamte.
Nach 12 Jahren Mord: Die Verhaftung
Sechs Jahre später, im November 1990, sieht ein Beamter in Zivil, wie ein Mann aus einem Waldstück kommt. Er ist blutverschmiert an der Wange und reinigt seine Kleidung an einer Wasserpumpe. Der Beamte fragt den Mann nach seinen Papieren. Es ist Andrei Tschikatilo.
Zum Festhalten des 54-Jährigen fehlen Beweise. Doch der Polizist schreibt einen Bericht über den Vorfall. Als einen Tag später ein Fußgänger die Leiche eines Mädchens in dem Wald, aus dem Tschikatilo kam, findet, sind die Polizisten alarmiert.
Am 20. November 1990 läuft Tschikatilo mit einem Bier aus einer Kneipe. Als er gerade dabei beobachtet wird, wie er einen Jungen anspricht - wohl, um ihn wegzulocken - wird Tschikatilo nach zwölf Jahren Gräueltaten festgenommen. Es brauchte 127 Kriminalbeamte um diesen Mann endlich zu fassen.
Der Prozess von Tschikatilo
Mithilfe des Psychiaters Alexander Buchanowski will die Polizei Tschikatilo ein Geständnis entlocken. “Ich erklärte ihm, dass ich nicht sein Feind bin – aber auch nicht sein Verteidiger“, so Buchanowski in einem Interview. “Ich war nur ein Arzt“.
Die Art von Buchanowski fruchtet: Der Serienmörder gesteht 36 Morde und 17 weitere, die die Polizei nicht mit Tschikatilo in Verbindung gebracht hatte.
Die Polizisten lassen Tschikatilo anhand von Puppen zeigen, wie er seine Opfer tötete. “Er hat ihre Schreie, ihr Blut und ihre Schmerzen genossen“, sagt Ex-Profiler Ray Hazelwood über die Vernehmung Tschikatilos. “Er war ein Sadist.“
Laut Kriminalpsychologin Helen Morrison haben viele Serientäter eine Gemeinsamkeit: “Beim ersten Mord lernt ein Täter Kontrolle zu haben. Bis dahin erlebt er sich als ein unterdrücktes Individuum.“
Tschikatilo sitzt aus Schutz vor dem Zorn der Angehörigen in einem Käfig im Gerichtssaal. Sie schreien ihm Beleidigungen zu, einige fallen in Ohnmacht.
Tschikatilo gibt sich als Opfer
Dem Richter liegen 222 Ordner Beweismittel vor. Es dauert zwei Tage, um die Anklageschrift vorzulesen.
Dann darf Tschikatilo zwei Stunden lang reden. Er beschreibt sich als einen Mann, dessen Genitalien gestohlen wurden. Durch seine Impotenz sei er zu einer lebenslangen sexuellen Frustration verdammt worden, die ihn letztlich zum Morden angetrieben habe.
Er wolle nicht töten, habe aber die Kontrolle verloren.
Weil er den Richter anschreit und sich entblößt, glauben Experten, Tschikatilo hoffe darauf, als unzurechnungsfähig eingestuft zu werden, um der Todesstrafe zu entgehen.
Doch Tschikatilo wird für voll zurechnungsfähig gehalten. Die Anklage bezeichnet ihn gar als den “berechnendsten und teuflischsten Mörder aller Zeiten.“
Im Oktober 1992 verurteilt ihn das Bezirksgericht Rostow zu einer dreifachen Todesstrafe und 86 Jahren Haft für den Mord an über 53 Menschen in zwölf Jahren. Im Gerichtssaal klatschen die Angehörigen der Opfer - und weinen zugleich.
Kurz vor seinem Tod fällt Tschikatilo sein eigenes Urteil: “Und nun soll mein Gehirn Stück für Stück auseinandergenommen und untersucht werden. Sodass es nie wieder jemanden, wie mich geben kann.“
Hinrichtung & Tod von Andrei Tschikatilo
Es ist der 15. Februar 1994 als Andrei Romanowitsch Tschikatilo in eine Zelle des Gefängnisses von Nowotscherkassk gebracht wird. Er bekommt eine Augenbinde übergezogen.
Dann geht der 56-Jährige auf die Knie. Er wird mit einem Schuss hinter dem rechten Ohr hingerichtet. Einer der schlimmsten Serienmörder in der Geschichte der Sowjetunion ist tot.
Hinweis: Die verwendeten Informationen basieren auf einer Dokumentation von "The Biography Channel", Büchern (u.a. “Hunting the Devil“) sowie einem Bericht des Spiegels und der Stuttgarter-Nachrichten.
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