Welt der Wunder

Butterfly-Effekt: DAS sind die unheimlichsten Zufälle der Welt-Geschichte!

Hinterhältige Intrigen, raffinierte Verschwörungen und geniale Schachzüge: Oft beeinflussen große Ereignisse und wichtige historische Personen den Lauf der Geschichte. Und doch steckt der Teufel im Detail. Denn schon kleinste Zufälle können eine Wucht entfalten, die so nie geplant war – und zu gewaltigen Umwälzungen führen, bei denen das Schicksal der Menschheit selbst auf dem Spiel steht …

Butterfly-Effect
Butterfly-Effect Foto: © iStock/borchee
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Butterfly-Effekt: Ursache & Wirkung

Kann der Flügelschlag eines Schmetterlings in Brasilien einen Tornado in Texas auslösen? Diese Frage stellte sich der Meteorologe Edward N. Lorenz und entdeckte damit den sogenannten Butterfly-Effekt (Deutsch: Schmetterlingseffekt).

Seine These: In einem Raum, in dem alles möglich ist, ist es eben auch möglich, dass der Flügelschlag eines Schmetterlings zu einer Umweltkatastrophe Tausende Kilometer entfernt führen kann.

Der Raum ist in diesem Fall das gesamte Wettersystem der Erde. Und dort können kleine, zufällige Ursachen große Auswirkungen haben. Doch kann man den Butterfly-Effekt auch auf andere Systeme übertragen?

Wie bestimmt er den Lauf der Menschheitsgeschichte mit ihren unzähligen Protagonisten, Entscheidungen und Ereignissen? Dies ist ein Gedankenexperiment, das Historiker immer öfter durchspielen – mit spektakulären Erkenntnissen.

Denn jedes noch so kleine und zufällige Ereignis wirkt sich auf das Große und Ganze aus. Zum Beispiel spielt allein schon das eingangs erwähnte Wetter eine gewaltige Rolle in der Geschichte. So war der Atombombenabwurf über der japanischen Stadt Nagasaki am 9. August 1945 das Resultat einer dichten Wolkendecke, die sich zufällig über der weniger besiedelten Industriestadt Kokura gebildet hatte – dem eigentlichen Ziel der zweiten US-Bombe nach Hiroshima.

Und hat diese Wolkendecke vielleicht im Flügelschlag eines Schmetterlings irgendwo in Brasilien ihren Ursprung? Das Resultat dieses Flügelschlags ist jedenfalls verheerend: In Nagasaki kommen bis zu 80 000 Menschen ums Leben, die diesen Tag überlebt hätten, wenn der Wetterbericht anders gewesen wäre.

Wie unberechenbar dieser zufällige Schmetterlingseffekt wirklich sein kann, skizzieren unsere Kollegen gemeinsam mit der Hilfe von Historikern auf den folgenden Seiten – und zeichnet ein völlig neues Bild der Geschichte ...

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Wie ein Akt des Mitgefühls zu 60 Millionen Toten führt

Scheinbar banale Ereignisse haben immer wieder in der Geschichte große Umwälzungen ausgelöst. Mitunter haben sie jedoch auch den genau gegenteiligen Effekt und verhindern diese. Bestes Beispiel ist Adolf Hitler, dessen Tod unzählige Male besiegelt schien, sei es durch Ertrinken, Sprengstoff oder eine Gewehrkugel.

Und doch spielte der Zufall ihm gegen jede Wahrscheinlichkeit immer wieder aufs Neue in die Karten und rettete sein Leben – wie am 28. September 1918 an der Westfront: Verschanzt in seinem Schützengraben, kämpft der englische Gefreite Henry Tandey gegen die deutschen Truppen. Die Luft ist erfüllt vom Lärm explodierender Geschosse und dem Schreien seiner sterbenden Kameraden – doch all diese Geräusche dringen nur gedämpft, wie aus weiter Ferne, zu ihm.

Denn urplötzlich erkennt der 27-Jährige zwischen Feuer und Rauchschwaden einen deutschen Soldaten genau in seiner Schusslinie. Noch bevor Tandey weiß, wie er reagieren soll, blickt der Deutsche unvermittelt auf und starrt ihm direkt in die Augen.

Verwundet und müde, versucht er gar nicht erst, seine Waffe zu heben – und nach einer gefühlten Ewigkeit senkt auch Henry Tandey schließlich sein Gewehr. Der Verschonte nickt ihm kurz zum Dank zu – dann stolpert er davon.

Was der englische Soldat erst viele Jahre später erfahren wird: Der junge Mann aus dem bayerischen Infanterie-Regiment, den er aus Mitgefühl verschont hat, war kein Geringerer als Adolf Hitler. Ohne Tandeys Zögern wäre der nie von der Front zurückgekehrt.

Er wäre weder der Führer der Nationalsozialisten noch deutscher Reichskanzler geworden und hätte damit niemals den Zweiten Weltkrieg entfesseln können, der fast 60 Millionen Menschen das Leben kostete.

War es die Macht des Zufalls oder Ironie des Schicksals, dass Adolf Hitler von den Tausenden feindlichen Soldaten auf dem Schlachtfeld ausgerechnet dem einen begegnen musste, der Menschlichkeit zeigte und es nicht übers Herz brachte, auf einen Verwundeten zu schießen?

Eine Frage, die sich bei zwei ähnlichen Vorfällen ebenfalls stellt. Der erste ereignet sich am 8. Januar 1894: Hitler ist gerade mal vier Jahre alt, als er am Ufer des Inns ausrutscht und in den Fluss stürzt.

Der Junge kann nicht schwimmen und scheint daher dem Tode geweiht – wäre der fünfjährige Johann Nepomuk Kühberger nicht in der Nähe. Er reagiert geistesgegenwärtig und zieht seinen Freund aus dem Wasser, ehe die Strömung ihn mitreißen kann.

Noch unglaublicher erscheint jedoch die Episode, die sich am 8. November 1939 – knapp zwei Monate nach Beginn des Zweiten Weltkriegs – im Münchener „Bürgerbräukeller“ abspielt. Hitler soll dort eine Rede halten – doch wie es der Zufall will, legt sich an genau diesem Abend dichter Nebel über die Stadt und der Flughafen muss den Betrieb einstellen.

Um zurück nach Berlin zu kommen, ist Hitler gezwungen, auf den Nachtzug auszuweichen und seine Rede 30 Minuten früher als geplant zu beenden. Nur 13 Minuten, nachdem er gegangen ist, taucht ein greller Blitz den "Bürgerbräukeller" in gleißendes Licht.

Die Wucht der Detonation lässt Pfeiler bersten und die Decke einstürzen. Acht Menschen sterben bei dem Sprengstoffattentat, 60 weitere werden teils schwer verletzt – der "Führer" ist zu diesem Zeitpunkt längst weg.

Es sind drei Schlüsselmomente in Hitlers Leben, die zu entscheidenden Wendepunkten der Geschichte werden – und die doch bis heute kaum bekannt sind, da ihre fatalen Auswirkungen sich erst Jahre später zeigen sollten.

Beim Blick auf Hitlers Biografie wird aber deutlich, dass neben vielen anderen Faktoren gerade auch die Launen der Natur und eine Verkettung unglücklicher Umstände zu seinem Aufstieg führten. Der Zufall war Hitlers bester Leibgardist.

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"Banale Nebensächlichkeiten machten Weltgeschichte", bestätigt der Historiker Will Berthold. Das scheint auch der Diktator geahnt zu haben. Als er 1938 den britischen Premier Chamberlain trifft, zeigt er ihm laut dem Historiker David Johnson ein Gemälde mit einer Szene aus dem Ersten Weltkrieg.

Unter den abgebildeten britischen Soldaten ist auch Henry Tandey, der längst ein berühmter Kriegsheld ist. Hitler weist auf seinen Retter und raunt dem Premier zu: "Dieser Mann war nahe dran, mich zu töten – doch die Vorsehung bewahrte mich vor der teuflischen Präzision, mit der die englischen Jungs auf uns schossen."

Vorsehung – oder ein Akt des Mitgefühls, der wie der Flügelschlag eines Schmetterlings wirkte.

Wie sechs Euro den Mittleren Osten in Brand setzen

Zine el-Abidine Ben Ali gilt lange als unantastbar. Seit 1987 regiert er Tunesien mit eiserner Hand – ist verantwortlich für die Misshandlung, Ermordung und Vergewaltigung Tausender Unschuldiger. Und er ist gierig.

Das Land mit seinen elf Millionen, teils bettelarmen Einwohnern plündert er strategisch aus. Geschätzte zehn Milliarden Euro leitet er jedes Jahr von den Staatskassen auf sein Privatkonto um – eine Summe, die zu der Zeit ungefähr einem Drittel des tunesischen Bruttoinlandsprodukts entspricht.

Dennoch kann der Diktator mehr als 23 Jahre unbehelligt durchregieren. Dass er am Ende doch stürzt, verdankt er nicht einem weiteren Mordkomplott oder Untreueskandal – sondern einem Flügelschlag des Schicksals, der so alltäglich und unbedeutend erscheint, dass er zunächst niemandem auffällt.

Es beginnt auf dem Gemüsemarkt einer kleinen Stadt in der Wüste Tunesiens … Sidi Bouzid ist eine staubige Kleinstadt. Die Arbeitslosigkeit ist hoch. Die meisten Bewohner schaffen es nur mit Mühe, über die Runden zu kommen – so wie Mohamed Bouazizi.

Der 26-Jährige ernährt fünf Geschwister, seine Mutter und einen Onkel mit einem kleinen, illegalen Gemüsestand auf dem Basar von Sidi Bouzid. Eine Händlerlizenz kann er sich nicht leisten. Am Morgen des 17. Dezember 2010 hat er wie jeden Tag auf dem Großmarkt Tomaten, Äpfel und Zwiebeln gekauft – und schleppt sie vier Kilometer durch die Stadt, um sie für einen kleinen Aufpreis an seine Stammkunden zu verkaufen.

Doch an diesem Tag ist alles anders. Eine kleine Wendung des Schicksals, die sich zu einem Sturm entwickeln wird. Und alles, was es dazu braucht, ist eine kurze Begegnung: Faida Hamdy arbeitet als Stadtinspektorin.

Sie ist 45 Jahre alt, die Tochter eines Polizisten und verfügt über ein makelloses Führungszeugnis. Sie jagt keine Verbrecher. Zu ihren Aufgaben gehört es, Beschwerden über Lärm entgegenzunehmen, zugeparkte Kreuzungen räumen zu lassen oder eben illegale Händler abzumahnen.

An diesem Tag will Faida Hamdy die Lizenz von Mohamed Bouazizi sehen. Doch der hat keine. Und auch die Strafe von umgerechnet etwa sechs Euro kann er nicht bezahlen. Es sind diese sechs Euro, die den Butterfly-Effekt auslösen.

Hamdy schließt den Stand, beschlagnahmt die Waren. Doch als sie auch die Waage, Mohameds kostbarsten Besitz, mitnehmen will, wehrt sich der Mann. Polizisten eilen herbei. Es kommt zu einem Handgemenge. Für Mohamed ist es das Ende. Er steht vor dem Nichts.

Wie soll er nun seine Familie ernähren, wie das Schulgeld für seine Geschwister bezahlen? Der Gemüsehändler ist so verzweifelt, dass er zur Präfektur läuft, um seine Waage zurückzuverlangen. Doch dort wird er nicht einmal in das Gebäude gelassen.

Was danach passiert, ist nicht länger nur das tragische Schicksal eines tunesischen Gemüsehändlers – sondern Teil der Weltgeschichte. Mohamed kauft eine Dose Farbverdünner und übergießt sich von Kopf bis Fuß damit.

Kurz darauf geht er in Sichtweite der Präfektur in Flammen auf. Herbeieilende Sicherheitsmänner können ihm nicht helfen, da die mitgebrachten Feuerlöscher nicht funktionieren. Mohamed Bouazizi stirbt – und für einen Moment scheint es, als sei sein trauriges Kapitel damit abgeschlossen.

Doch dann passiert etwas Überraschendes. Am Abend sammeln sich die ersten Menschen vor der Präfektur und protestieren gegen das Unrecht und die Armut, die so viele Menschen seit Jahrzehnten in Tunesien erleben.

Und die Demonstranten erklären Mohamed Bouazizi zu ihrem symbolischen Helden. In der Nacht rücken schwer bewaffnete Sondereinheiten der Polizei an. Doch die Rechnung des Regimes geht nicht auf. Anstatt wegzulaufen, werden es immer mehr Menschen auf den Straßen.

Als die Polizisten Tränengas einsetzen, werfen die Menschen Steine, besetzen die Polizeistation. Der Aufruhr setzt eine seit Jahrzehnten aufgestaute Wut und Verzweiflung frei – und verbreitet sich wie ein Flächenbrand über das Land und den afrikanischen Kontinent.

Zine el-Abidine Ben Ali verlässt zehn Tage nach der Selbstverbrennung Tunesien und flieht ins Exil nach Saudi-Arabien. In Libyen lyncht ein Mob Diktator Muammar al-Gaddafi. In Ägypten jagt man nach 30 Jahren Herrschaft Husni Mubarak aus seinem Amt.

In Syrien beginnt ein brutaler Bürgerkrieg. Letztlich brechen in mindestens 17 Ländern Proteste gegen Unterdrückung, Korruption und staatliche Repressionen aus – und stürzen den gesamten afrikanischen Kontinent in ein Chaos, von dem er sich bis heute nicht erholt hat.

Wie 156 Nägel Napoleon bezwingen

Es ist eine wagemutige Attacke. Mit seinen 5000 Elite-Reitern greift Michel Ney, der Marschall von Frankreich, die britischen Truppen an. Es ist genau 14 Uhr am 18. Juni 1815, als sich die Kavallerie in Bewegung setzt.

"Für unseren Kaiser Napoleon, für Frankreich", ruft Ney und gibt das Signal zum Stürmen. Sie müssen schnell zuschlagen. Auf der Anhöhe vor ihnen steht das Heer des Duke of Wellington – Musketiere und Reiter.

Doch was Ney am meisten fürchtet, sind die 156 Kanonen, die genau auf seine Kavallerie zielen. Wie oft werden die Kanoniere feuern können, bevor Wellingtons Reiter sie überrollen? Wie oft wird ein Schmetterling mit den Flügeln schlagen, bis die Geschichte verändert ist?

Hinter der Kavallerie schlägt die erste Salve im Boden ein, Erde und Gras spritzen in die Luft. Noch eine Salve – wieder hinter den Reitern. "Allez! Allez!" „Gleich da“, denkt sich Ney. Ein letzter Flügelschlag: Im nächsten Augenblick schlägt die letzte Kanonensalve mitten in die Reihen der vorrückenden Reiter ein.

Dutzende Pferde werden zu Boden gerissen. Aber der Angriff der Franzosen ist nicht mehr zu stoppen. Mit ihren Lanzen spießen sie die fliehenden Kanoniere auf, während sich die britische Infanterie zurückzieht.

Die 156 Kanonen sind nun in der Gewalt der Franzosen – und sie könnten den Krieg entscheiden: Sobald die Kanoniere Napoleons die Kanonen umdrehen und bemannen, kann nichts die Allianz aus Briten und Preußen vor ihrer Niederlage bewahren.

Mehr noch: Allein der Verlust der Kanonen reicht aus, um Napoleon nach seiner Verbannung wieder zum unangefochtenen Herrscher Europas zu machen. Noch wissen die Franzosen nicht, dass der letzte Flügelschlag bereits über ihr Schicksal entschieden hat … Denn das Blatt hat sich bereits gewendet.

Jetzt gibt der Herzog von Wellington seiner schweren Kavallerie den Befehl zum Gegenangriff: Die Artillerie muss unter allen Umständen zurückerobert werden. Auch die Infanterie ist wieder in Musketen-Reichweite.

Michel Ney weiß, dass er keine Chance hat, die Kanonen noch einzusetzen. Doch er kann dafür sorgen, dass niemand mehr diese Kanonen benutzt. In jeder Einheit gibt es Soldaten, die kopflose Nägel und Hämmer mit sich tragen, um die Zündlöcher der Bronzekanonen zu verstopfen.

Doch wo sind sie? Neys Adjutant läuft durch die eigenen Reihen und schreit nach Nägeln. Niemand antwortet ihm. Denn zufällig sind genau diese Soldaten beim letzten Artilleriefeuer getötet worden.

Keiner kommt auf die Idee, Nägel aus dem Unterbau der Kanonen oder aus den Ladestäben zu ziehen. Ney gibt den Befehl zum Rückzug – in wenigen Stunden werden diese 156 Kanonen die Franzosen bezwingen und Napoleon endgültig besiegen.

Wie ein Labor-Unfall den Zweiten Weltkrieg entscheidet

Bevor Alexander Fleming in diesem Sommer 1928 endlich in seinen wohlverdienten Urlaub gehen kann, muss er nur noch sein Labor in der St. Mary’s Hospital Medical School aufräumen. Eine Kleinigkeit, die nur wenige Minuten dauert.

Doch in Gedanken stellt der Bakteriologe eine Petrischale mit Staphylokokken-Kulturen in ein Spülbecken, um sie später zu säubern – und vergisst sie.

Ein unbedeutendes Malheur, das aber Geschehnisse in Gang setzt, an deren Ende zehn Jahre später ein Medikament steht, das nicht nur Milliarden Menschenleben retten wird, sondern auch den Zweiten Weltkrieg entscheidend beeinflusst. Doch wie kann das sein?

Als Fleming wieder in sein Labor kommt, hat sich auf der vergessenen Petrischale ein Schimmelpilz gebildet. Für Fleming eigentlich nichts Außergewöhnliches – dennoch stutzt er plötzlich: Dort, wo sich der Pilz ausgebreitet hat, sind die eigentlich hartnäckigen Staphylokokken-Bakterien komplett abgestorben.

Eine medizinische Sensation, die jedoch zunächst niemand erkennt – auch Fleming nicht. Die Idee, daraus ein Medikament zu entwickeln, kommt ihm jedenfalls nicht. Pflichtbewusst notiert er aber seine Beobachtungen und schickt einen Artikel über den Vorfall an die britische Wissenschaftsvereinigung Royal Society.

Exakt zehn Jahre passiert nicht viel. Fast erscheint es, als würde Flemings Entdeckung im Nebel der Geschichte verschwinden. Doch der kleine Flügelschlag, der von einer verunreinigten Petrischale ausgelöst worden war, entfaltet seine Kraft langsam, aber stetig – bis er sich im Jahr 1938 zu einem rauen Wind steigert: Flemings Erkenntnisse erreichen einen anderen Forscher.

Howard Walter Florey liest zufällig Flemings Bericht – und erkennt das Potenzial. 1941 testet er das Stoffwechselprodukt des Penicillium-Pilzes erstmal an einem Menschen – und löst einen globalen Sturm aus. Kurz darauf geht das Ur-Antibiotikum in den USA in die Serienproduktion – und das keine Sekunde zu spät für die alliierten Soldaten.

Denn Fakt ist: Es wird zu einem kriegsentscheidenden Vorteil. Während bei den Alliierten nach der Einführung des Penicillins nur noch jeder 25. Soldat im Zweiten Weltkrieg stirbt, ist es bei den Deutschen – denen das Medikament unbekannt ist – jeder sechste.

Gleichzeitig kehren viele amerikanische und britische Soldaten schon wenige Wochen nach einer Verwundung an die Front zurück, die meisten verletzten Deutschen jedoch nie. Zu oft entzünden sich ihre Wunden, schon ein Streifschuss kann bei den Wehrmachtssoldaten ohne eine antibakterielle Behandlung den Tod bedeuten.

Tatsächlich gehen heute viele Historiker davon aus, dass die Alliierten ohne Flemings "Wundermittel" ihre Kampfstärke niemals so lange hätten aufrechterhalten können – und die Deutschen möglicherweise sogar den Zweiten Weltkrieg gewonnen hätten …

Wie ein Meteor das Christentum zur Welt-Religion macht

Okay, es ist vielleicht nicht ganz richtig, einen Meteoriteneinschlag mit dem Flügelschlag eines Schmetterlings zu vergleichen. Schließlich reden wir hier von einem Gesteinsbrocken mit einem Durchmesser von zehn Metern, der mit rund 7200 Kilometern pro Stunde Geschwindigkeit im Jahr 312 n. Chr. in den italienischen Abruzzen einschlägt.

Aber tatsächlich verletzt dieser Einschlag weder einen Menschen noch verändert er das Wetter. Er wäre von der Geschichte völlig vergessen worden – wenn nicht ein Mann genau zum Zeitpunkt des Einschlags in den Himmel geschaut hätte.

Sein Name ist Konstantin I., der später den Beinamen "der Große" bekommen wird. Im Oktober 312 steht Konstantin mit seiner Armee wenige Kilometer vor den Toren Roms – und bereitet sich auf die letzte Schlacht vor. Seit Februar liefert er sich in Norditalien Schlachten mit seinem Widersacher Marcus Aurelius Maxentius.

Sie sind die beiden letzten von ursprünglich vier Kaisern, die um die Herrschaft in Rom kämpfen. Und obwohl Konstantin nur 40 000 Soldaten befehligt, gelingt es ihm, wichtige Siege gegen die 100 000 Mann starke Armee von Maxentius zu erringen.

Doch jetzt, vor der letzten Schlacht, scheint Konstantins Hoffnung zu schwinden. Zu mächtig scheint das Heer von Maxentius, zu stark die Befestigungen Roms. Und dann sieht er den Meteor, ein gleißendes Licht am Himmel, das laut Aufzeichnungen die Form eines Kreuzes hat. Erst vor wenigen Jahren hat der schwedische Geologe Jens Ormö den Krater des Meteoriten entdeckt.

Seine Theorie: Der Feuerball ist in einem sehr flachen Winkel auf die Erde gestürzt – was einen langen Schweif nach sich zieht. Konstantin jedenfalls deutet die Erscheinung im Jahr 312 als Zeichen und lässt auf den Schilden der Soldaten das Christusmonogramm anbringen.

Am nächsten Tag, dem 28. Oktober, stürmen Maxentius’ Truppen aus der Sicherheit der Stadtmauern Roms, um Konstantins Männer auf offenem Felde zu treffen. Historiker gehen davon aus, dass Maxentius seinen Feind einkesseln wollte – allerdings geht sein Plan nicht auf.

Die sogenannte Schlacht an der Milvischen Brücke entscheidet Konstantin für sich, weil er seinen Gegner zwischen Armee und Fluss aufreiben kann. Maxentius ertrinkt im Tiber – und Konstantin wird zum Alleinherrscher in Rom.

Doch was diesen Sieg so besonders macht, ist nicht der Kampf gegen eine scheinbar überlegene Armee, sondern dass Konstantin den Sieg dem Gott der Christen widmet. In den nächsten 25 Jahren seiner Herrschaft wird er das Christentums fördern – und schließlich selbst übertreten. Das gibt dem Christentum die nötige Starthilfe, um zur Weltreligion zu werden.

Wie ein Sandwich den Ersten Weltkrieg entfesselt

Wenn der Flügelschlag eines Schmetterlings bereits gewaltige Auswirkungen auf einfache Strukturen haben kann, wie reagiert dann ein Raum, der sowieso schon einem Pulverfass gleicht? Dann reichen schon Banalitäten wie eine falsche Route und ein Sandwich, um einen Weltkrieg auszulösen.

Dieser Raum ist Europa am Anfang des 20. Jahrhunderts. Die Nationen sind zerstritten und allesamt bis an die Zähne bewaffnet. Der Flügelschlag findet in Sarajevo statt, in der Franz-Joseph-Straße vor Moritz Schillers Delikatessengeschäft.

Am Mittag des 28. Juni 1914 bestellt Gavrilo Princip dort ein Käse-Sandwich. Princip ist ein serbischer Anarchist, der nach Sarajewo gekommen ist, um ein Attentat auf den österreichisch-ungarischen Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand auszuführen.

Zusammen mit zwei Komplizen hatte Princip bereits am Vormittag versucht, den Prinzen mit einer Handgranate zu töten. Doch die Granate prallte am Wagen Franz Ferdinands ab, sie beschädigte nur das nachfolgende Auto. Princip kann ungesehen entkommen – und hat Hunger.

Der Thronfolger hingegen lässt sich von dem Attentatsversuch nicht beeindrucken und setzt seine Wagenparade fort. Zur selben Zeit wartet Princip bei Moritz Schiller auf das bestellte Sandwich.

Um die Sicherheit des Thronfolgers zu gewährleisten, soll die Route der Kolonne geändert werden, doch man vergisst, auch den Fahrer Leopold Lojka zu informieren – ein weiterer Flügelschlag.

Gavrilo Princip beißt gerade zum ersten Mal in das Sandwich, als der Wagen Franz Ferdinands in die Franz-Joseph-Straße einbiegt. "Das ist der falsche Weg", brüllt einer der Sicherheitsbeamten den Fahrer an. "Was soll ich denn jetzt machen", ruft der Fahrer.

"Zurückfahren!" Lojka bremst ab – und das Sandwich bleibt Princip fast im Halse stecken: Der Wagen steht direkt vor Moritz Schillers Delikatessenladen! Während der Fahrer den Rückwärtsgang einlegt, bahnt sich der Attentäter seinen Weg durch das Bistro und zieht einen Revolver.

Er steht nun direkt vor dem Thronfolger und feuert zwei Schüsse ab. Sie treffen Franz Ferdinand und seine Frau Sophie tödlich. Jetzt entfaltet der Butterfly-Effekt seine gnadenlose Wirkung: Österreich-Ungarn macht die serbische Regierung für das Attentat verantwortlich und stellt ihr ein Ultimatum, das nicht zu erfüllen ist.

Das Deutsche Reich sichert Österreich volle Unterstützung bei einem militärischen Konflikt zu. Mit der Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Serbien beginnt der Erste Weltkrieg – ein Sturm, wie ihn Europa noch nie zuvor gesehen hat.

Wie ein Todes-Fall Europa rettet

Der Flügelschlag eines Schmetterlings kann einen Sturm auslösen – aber auch beenden. Im Jahr 1241 zieht ein Orkan aus Blut und Feuer über Europa auf: die Invasion der Mongolen. Zunächst sind es nur Schauergeschichten, die aus dem Osten zu hören sind.

Wilde Krieger sollen Gefangene brutal quälen und sie unter großen Schmerzen umbringen. Sie türmen die Schädel ihrer Opfer zu Pyramiden auf, übergießen sie mit Öl und zünden sie an. Und wenn sie eine Stadt belagern, sollen sie die verstümmelten Leichen ihrer Feinde über die Stadtmauer werfen.

Als die Goldene Horde immer weiter nach Westen zieht, wird aus den Schauergeschichten Realität. Unter Batu Khan, einem Enkel des berühmten Dschingis Khan, erobern die Mongolen Moskau, brennen Kiew nieder und vernichten deutsche, polnische und ungarische Armeen.

"Der Mongolenkrieger Batu Khan ist im Jahr 1241 kurz davor, Wien zu erobern und das Heilige Römische Reich zu vernichten", sagt der Historiker Timothy Snyder von der Yale University. "Keine europäische Macht hätte seine Truppen davon abhalten können, den Atlantik zu erreichen."

Doch Anfang 1242 trauen die Verteidiger Wiens ihren Augen nicht: Die Mongolen brechen ihr Lager einfach ab und reisen zurück in ihre Heimat. Es wird viele Jahre dauern, bis die Europäer erfahren, was den brutalen Mongolensturm aufgehalten hat – und dass ein scheinbar unbedeutendes Ereignis Tausende Kilometer entfernt den Lauf der Welt für immer verändert hat.

Am 11. Dezember 1241 ist überraschend Ögedei Khan in der mongolischen Hauptstadt Karakorum gestorben. Ögedei war Großkhan und das Oberhaupt des Mongolisches Reichs. Er soll zudem ein starker Alkoholiker gewesen sein, was zu einem Herzstillstand geführt haben soll.

Nun ist es nicht unüblich, dass Kriege fortgesetzt werden, wenn der Herrscher stirbt. Doch in diesem Fall führte der Flügelschlag zu gravierenden Umwälzungen. Denn die Jassa, das mongolische Gesetz, verpflichtet die übrigen Khans dazu, am Kurultai teilzunehmen – der großen Reichsversammlung, um die Nachfolge Ögedeis zu regeln.

Für Batu Khan steht somit nicht nur die Ehre auf dem Spiel, er will auch die Herrschaft über die Mongolen an sich reißen und reitet über Russland zurück. Und nun schlägt der Schmetterling erneut mit den Flügeln – und bringt Regen nach Osteuropa.

Forscher haben erst kürzlich festgestellt, dass das Jahr 1242 so feucht war, dass riesige Getreidevorräte verfaulten. Tausende Reiter der Goldenen Horde sterben an Unterernährung – und machen eine erneute Invasion in Europa unmöglich.

Wie ein Flüchtling George W. Bush zum Präsidenten macht

In den frühen Morgenstunden des 22. April 2000 stürmen Spezialeinheiten der US-Grenzschutzpolizei das Haus einer kubanischen Einwandererfamilie in Miami.

Polizisten in Kampfausrüstung richten ihre Maschinenpistolen auf Lázaro González und entreißen ihm seinen sechsjährigen Großneffen Elián. Unter dem Protest von rund 50 Exilkubanern wird der Junge aus dem Haus getragen und zwei Monate später von der US-Regierung unter Bill Clinton zurück nach Kuba geschickt.

Für das Weiße Haus ist der Fall damit erledigt – nicht aber für die in Miami und anderswo in Florida wahlberechtigten Exilkubaner und Latino-Wähler.

Sie haben nicht vergessen, dass es gerade mal ein halbes Jahr her ist, dass Eliáns Mutter versucht hat, mit ihm in die USA zu flüchten, und dabei bei einem Schiffbruch ertrunken ist, während ihr Sohn auf einem Reifenschlauch weiter nach Florida trieb.

Mit Eliáns Abschiebung war all das nun vergebens – und die kubanische Exil-Gemeinde Floridas schwört Rache. Ihre Mitglieder wissen: Der Tag wird kommen, an dem die Clinton-Administration die Quittung für ihr Handeln bekommt.

In Washington ist sich jedoch niemand dessen bewusst, dass dieses scheinbar unbedeutende Ereignis massive Auswirkungen auf die Weltpolitik haben wird – allerdings erst fünf Monate später: am 7. November 2000 bei der US-Präsidentschaftswahl. Schnell zeichnet sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen George W. Bush und Al Gore ab.

Ausgerechnet Florida wird dabei zum Schlüsselstaat – die Stimmen der Exilkubaner sind für beide Kandidaten unverzichtbar. Gore hat jedoch ein Problem: Er war Vize-Präsident unter Clinton und wird daher für Eliáns Abschiebung mitverantwortlich gemacht.

So gewinnt am Ende tatsächlich Bush mit einer Differenz von 537 Stimmen in Florida – und das dank der Stimmen der Latino-Wähler. Seine Präsidentschaft läutet das Zeitalter des Terrors ein: Es kommt zu den Anschlägen vom 11. September und zum Krieg gegen einen Feind, der über Jahre nicht zu besiegen ist.

Wie ein verweigertes Treffen den Vietnam-Krieg auslöst

Voller Zuversicht macht sich der Küchengehilfe Nguyen Tat Thanh im Juni 1919 auf den Weg zur Versailler Friedenskonferenz. Der junge Vietnamese hat sich extra einen Anzug geliehen, um zum mächtigsten Staatschef der Welt vorgelassen zu werden – US-Präsident Woodrow Wilson.

Nguyens Ziel: sein Land vom Einfluss der französischen Kolonialmacht zu befreien. Dafür will er Wilson eine Petition überreichen, in der ein unabhängiges und demokratisches Vietnam gefordert wird.

Der US-Präsident gilt in diesen Tagen für viele unterdrückte Länder als Hoffnungsträger – hat er doch kürzlich in einer Rede den Ersten Weltkrieg auf die "Missachtung der Rechte von kleinen Nationen und Völkern" zurückgeführt.

Doch aus der ersehnten Begegnung wird nichts – denn Wilson lehnt ein Treffen ab. Enttäuscht wendet sich 29-Jährige einer anderen Ideologie zu, die sich gerade in Russland ausbreitet: dem Sowjet-Kommunismus.

Er trifft sich sogar mit Stalin, der ihn – anders als Wilson – empfängt. Ein paar Jahre später wird die Welt den Küchengehilfen als Ho Chi Minh kennenlernen.

1941 kehrt er schließlich nach Vietnam zurück und kämpft dort erfolgreich gegen die japanischen Besatzer und die französische Kolonialverwaltung. Vier Jahre später wird die Demokratische Republik ausgerufen – mit Ho als Präsidenten.

Doch die Kämpfe um die Unabhängigkeit gehen weiter und weiten sich zum Stellvertreterkrieg zwischen den USA und der Sowjetunion aus. Er wütet 20 Jahre und kostet 58 220 US-Soldaten das Leben. Begonnen hat alles jedoch schon 50 Jahre zuvor – mit einer verweigerten Audienz.