Warum durften 1.000 Nazi-Wissenschaftler in die USA auswandern?
Der Zweck heiligt die Mittel. Dieses Motto macht aus grausamen Maßnahmen notwendige Übel, aus skrupellosen Menschen durchsetzungsfähige Pioniere – aus berechtigten Zweifeln verbotene Fragen. Und wer nach den siegreichen Piloten für das Rennen in den Weltraum fragt, wird in den USA schnell zum Staatsfeind. Warum durften 1.000 Nazi-Wissenschaftler in die USA auswandern?
Als die Apollo 11 am 20. Juli 1969 auf der Mondoberfläche landet und Neil Armstrong als erster Mensch lunaren Staub aufwirbelt, kennen nur wenige Eingeweihte und die Täter von damals den moralischen Preis, der dafür gezahlt wurde.
Einer von ihnen: Wernher von Braun, der strahlende Raketentechniker und Ausnahme-Ingenieur, der die USA zur führenden Weltraumnation gemacht hat. Der Glanz seines Ruhms überstrahlt seine dunkle Vergangenheit voller Verbrechen gegen die Menschlichkeit, für die er nie büßen musste.
Rückblende: Die Heeresversuchsanstalt Peenemünde im Jahr 1939. Unter der Leitung von Wernher von Braun wird hier Adolf Hitlers "Wunderwaffe" entwickelt – die Großrakete V2 soll London in Schutt und Asche legen. Es ist der erste Versuch, eine Langstreckenrakete mit gewaltigem Vernichtungspotenzial herzustellen.
Tatsächlich kommen 1944 durch den Einsatz der V2 in England, Frankreich und Belgien mehr als 8.000 Menschen ums Leben. Die Opferzahl unter den Zwangsarbeitern ist noch höher: Rund 20.000 KZ-Häftlinge sterben beim Bau der Anlage und bei der Produktion der Rakete.
Bis heute ist ungeklärt, wie weit von Braun für den Tod der Häftlinge verantwortlich ist. Es ist aber nachgewiesen, dass in der Anlage Exekutionen vor den Augen der anderen Gefangenen stattfanden.
Fakt ist auch: Moralische Vorbehalte waren von Braun fremd, wie viele Wissenschaftler des "Dritten Reichs" ordnete er Menschenleben der Forschung unter. Er sollte bald feststellen, dass auch sein Leben nur einer Ideologie untergeordnet war.
"Ich befehle […] alle militärischen Verkehrs-, Nachrichten-, Industrie- und Versorgungsanlagen sowie Sachwerte […] die sich der Feind zur Fortsetzung seines Kampfes irgendwie […] nutzbar machen kann, sind zu zerstören."
Warum durften 1.000 Nazi-Wissenschaftler in die USA auswandern?
Am 19. März 1945 erlässt Adolf Hitler den sogenannten "Nero-Befehl": Die Alliierten sollen nur verbrannten Boden vorfinden. Auch die Raketentechniker in Peenemünde gelten als wertvolle Ressourcen und sollen ermordet werden.
Als den Forschern das dämmert, flehen sie ihre Bewacher um Gnade an. Mit Erfolg: Von Braun schlägt sich nach Süddeutschland durch, wo er sich mit einigen seiner Wissenschaftler am 2. Mai 1945 den US-Truppen ergibt.
Im Gepäck: das geballte deutsche Wissen zum Bau einer eigenen Rakete. 1946 finden sich rund 1.000 Nazi-Forscher und ihre Familien in Fort Bliss in Texas wieder. Sie sollen Trägerraketen für die US-Atombomben bauen, doch nicht die NASA erhält den Zuschlag, sondern die US Navy – von Braun und seine Kollegen kommen zunächst aufs Abstellgleis.
Erst als die Sowjetunion den Wettlauf ins All eröffnet, reaktivieren die USA die Naziwissenschaftler. Nur mit dem Knowhow von Männern, die über Leichen gegangen sind, landet Apollo 11 sicher auf dem Mond.