Technik-Update

Phoenix Air: Wie transportiert man ein tödliches Virus?

Wann immer irgendwo auf der Welt eine Seuche ausbricht und amerikanische Staatsbürger evakuiert werden müssen, tritt die Phoenix Air Group auf den Plan. Die kleine Fluggesellschaft aus Georgia untersteht direkt der US-Regierung und übernimmt für sie die heikelsten Einsätze. Ihr größter Trumpf ist eine Flotte einzigartiger Quarantäneflugzeuge …

Phoenix Air
Phoenix Air Foto: GettyImages/PAUL J. RICHARDS
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Phoenix Air: Wie transportiert man ein tödliches Virus?

Am 26. Juli 2014 erhält Dent Thompson den Anruf, auf den er sich seit sieben Jahren vorbereitet hat. Der Manager der kleinen US-Fluggesellschaft PhoenixAir hat es sich gerade auf der Veranda seines Sommerhauses auf dem Beech Mountain gemütlich gemacht, als das Telefon klingelt. Vorwahl 202. Washington, D.C.

Thompson erkennt sofort die vertraute Stimme von William Walters am anderen Ende der Leitung, des Managing Director of Operational Medicine im US-Außenministerium. Sechs Monate ist es her, dass sich die beiden getroffen haben, um für die Olympischen Spiele in Sotschi einen Flugambulanz-Notfallplan für hochrangige Politiker zu entwerfen. Doch Thompson merkt sofort, dass es diesmal nicht um irgendein theoretisches Szenario geht, sondern um eine ganz reale Krisensituation. Gerade als er Walters nach dem Grund seines Anrufs fragen will, stellt dieser eine Frage, die ihm den Atem verschlägt: „Können Sie zwei mit Ebola infizierte Patienten aus Liberia in die Vereinigten Staaten fliegen?“ Der Airline-Boss weiß nicht, was er sagen soll.

Jahrelang hat er darauf gewartet, dass das von seiner Firma entwickelte fliegende Quarantänesystem erstmals zum Einsatz kommt. Dass es sich bei der Premierenmission aber gleich um eine der tödlichsten Infektionskrankheiten der Welt handeln würde, damit hätte er nicht gerechnet. „Das ist, als wenn man von einem Highschool-Basketballteam direkt in die NBA wechselt“, denkt Thompson. Er zögert einen Moment, antwortet dann jedoch: „Wenn Sie mir die besten Ärzte der US-Regierung in unser Hauptquartier nach Cartersville bringen, bin ich bereit, es zu versuchen.“ Walters willigt ein.

Wie baut man eine fliegende Quarantänestation?

Bereits im Jahr 2007 erteilt die US-Regierung der Phoenix Air Group den Auftrag, ein mobiles Seucheneindämmungssystem zu entwickeln, mit dem im Krisenfall hochansteckende Patienten in die USA gebracht werden können. Damals denkt man jedoch nicht an ein Virus wie Ebola, das per Körpersekret weitergegeben wird, sondern an Erreger, die sich per Tröpfcheninfektion ausbreiten – etwa das Schwere Akute Atemwegsyndrom (SARS) oder die Vogelgrippe.

Da speziell Flugzeugkabinen, in denen Hunderte von Reisenden oft stundenlang auf engstem Raum eingesperrt sind, ein hohes Infektionsrisiko bergen, macht sich Phoenix Air gemeinsam mit seuchenerprobten Ingenieuren der US-Bundesbehörde Center for Disease Control and Prevention und des Verteidigungsministeriums daran, eine luftdicht abgeschottete Quarantänekammer zu entwerfen.

Dieses Aeromedical Biological Containment System – kurz: ABCS – besteht aus einem mit einem transparenten Plastikzelt überzogenen Metallrahmen, der gerade groß genug ist, um in einen umgebauten Gulfstream-Jet zu passen. Der Patient liegt auf einem schmalen Krankenbett im Inneren des Zeltes. Um von außen hineinzugelangen, müssen zunächst zwei luftdichte, vorgelagerte Zelte passiert werden. Sie dienen als Schleusen, in denen die Ärzte ihre Schutzkleidung an- und ausziehen sowie desinfizieren können.

In der Isolierstation selbst herrscht ein Unterdruck, sodass für den Fall, dass ein Fenster am Kopfende des Zelts geöffnet werden muss, kein Erreger entweichen kann. Die kontaminierte Luft im Inneren der Kammer wird vom Kopf- zum Fußende geblasen, durch mehrere Filter geleitet und dann durch eine Röhre am Ende des Flugzeugs nach außen gepumpt.

Nach der Fertigstellung des ersten Prototyps wird das System bei Extrembelastungen geprüft. Zufrieden nimmt Thompson zur Kenntnis, dass weder Erdbebentests noch Temperaturen von rund minus 30 Grad dem Zelt etwas anhaben können. Als es auch einen Testflug in 13 000 Metern Höhe, bei dem die Luft aus der Kabine abgelassen wird, erfolgreich meistert, wird es von der Regierung als sicher eingestuft. Doch zu diesem Zeitpunkt ist die SARS-Epidemie längst vorbei. Die Plastikzelte werden daher in Kisten eingelagert und stehen fortan ungenutzt in einer Lagerhalle – bis im Juli 2014 doch noch ihre große Stunde schlägt …

Ein Land in Ebola-Hysterie

Die Mission klingt eigentlich simpel: Zwei US-Hilfskräfte, Krankenschwester Nancy Writebol und der Mediziner Kent Brantly, die sich bei einem Einsatz in Liberia mit einem tödlichen Virus infiziert haben, sollen zurück in die USA geflogen werden. Es ist ein Szenario, dass PhoenixAir schon unzählige Male durchgespielt hat. Auch das Zielkrankenhaus, das Emory Hospital in Atlanta, ist vorbereitet.

Womit jedoch niemand gerechnet hat, ist die Tatsache, dass es sich um Ebola handeln würde – ein Virus, das in 90 Prozent der Fälle tödlich verläuft. Noch ehe der Flieger in Liberia abhebt, bricht in den USA Hysterie aus. „Das allgemeine Dogma war, dass Sie die Zombie-Apokalypse nicht in ein Land bringen dürfen, in dem es keine Zombies gibt“, sagt Walters. Die Folge: Phoenix-Air-Mediziner dürfen die Schulen ihrer Kinder nicht mehr betreten, einer der Ärzte kann gar nur mit Mühe verhindern, unter Quarantäne gestellt zu werden.

Republikanische Politiker befeuern diese Stimmung, indem sie die Ebola-Angst mit der Debatte um illegale Einwanderer aus Lateinamerika vermischen. Thompson hat jedoch ganz andere Sorgen: Was, wenn sich nach Writebol und Brantly weitere Amerikaner anstecken? Was, wenn gar mehrere Staaten gleichzeitig anfragen, ob sie infizierte Staatsbürger ausfliegen können, und er sich für ein Land entscheiden muss? Sie sind eine private Firma – mit nur zwei Flugzeugen, von denen jedes nur Platz für eine Person bietet.

Doch das Worst-Case-Szenario bleibt aus: Rund 40 Personen muss PhoenixAir bis zum Ende der Epidemie 2016 aus Westafrika in Kliniken in den USA und in Europa fliegen. Nur zwei Patienten sterben, keiner an Bord.

Phoenix Air bereitet sich vor

Seit seiner ersten Bewährungsprobe 2014 hat die Phoenix Air Group ihr Geschäftsfeld kontinuierlich erweitert. Sie besitzt mittlerweile rund 50 Flugzeuge, die auf der ganzen Welt stationiert sind, beschäftigt 150 Mitarbeiter und erhält jedes Jahr einen fixen Betrag von 50 Millionen Dollar von der US-Regierung.

Für das US-Militär veranstaltet sie Trainingscamps und simuliert feindliche Angriffe auf Flugzeugträger, ein Teil ihrer Flotte hilft der Armee zudem bei Frachtflügen zu ausländischen Stützpunkten. Daneben hat sich Phoenix Air weiter auf heikle Regierungsaufträge spezialisiert, etwa die Evakuierung hochrangiger Personen. Doch auch das Quarantänesystem wurde weiterentwickelt. Speziell auf Thompsons Sorge, mehrere Menschen aus verschiedenen Ländern könnten sich parallel infizieren, wurde reagiert.

Im Gegensatz zum Vorläufermodell bietet das neue, sattelschleppergroße Containerized Biocontainment System (CBCS) Platz für vier ansteckende Patienten gleichzeitig. Zudem lässt es sich innerhalb von 24 Stunden auf eine Boeing B-747/400 verladen. Im Fall einer neuen Seuche könnte also eine kombinierte Flotte aus Gulfstream-Jets und CBCS-Einheiten Dutzende Patienten zeitgleich zu verschiedenen Kliniken in den USA und Europa fliegen.

Übrigens: Erst im Juli 2019 ist das Ebola-Virus erneut im Kongo ausgebrochen. Die WHO hat bereits den internationalen Notstand ausgerufen …

Der Arzt, der Ebola überlebte

2014 startet der umgebaute Gulfstream-III-Jet der Phoenix Air Group zu seinem Jungfernflug: Er soll den amerikanischen Arzt Kent Brantly (Foto), der sich in Liberia mit dem Ebolavirus infiziert hat, zurück in die USA bringen. Die Feuertaufe gelingt: Nach 14 Stunden Flug landet Brantly sicher in Atlanta. Er bekommt schon in Liberia ein Serum, das noch nicht an Menschen getestet ist, wird gesund – und arbeitet seit Juli 2019 wieder als Mediziner in Afrika.

Welche Dienste bietet Phoenix Air noch an?

Seit ihrem ersten Einsatz 2014 ist die Phoenix Air Group stark expandiert – mittlerweile sind Flugzeuge in Los Angeles, San Diego, Norfolk, Nairobi, Malta und Stuttgart stationiert. Auftraggeber Nummer eins ist nach wie vor die US-Regierung. Neben Quarantäneflügen übernimmt Phoenix Air dabei auch andere heikle Einsätze wie 2017 die Rückführung des im Wachkoma liegenden amerikanischen Studenten Otto Warmbier aus Nordkorea. Ein Flug kostet zwischen 200 000 und 1 Million Dollar.