Graphen: Der Stoff, der unsere Zukunft formt
Forscher haben aus einzelnen Kohlenstoffatomen ein Material erschaffen, das die Welt verändern könnte: Graphen. Es gilt als der Stoff, der uns in ein neues Zeitalter katapultieren kann - und das, obwohl es eigentlich gar nicht existieren dürfte.
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Graphen und seine Eigenschaften
Wie bringt man einige der renommiertesten Physiker unserer Zeit ins Schwärmen? Ganz einfach. Man spricht sie auf die vielleicht bahnbrechendste Entdeckung der vergangenen 100 Jahre an: Graphen - der erste zweidimensionale Stoff der Welt. Ein Wundermaterial und für viele Experten der Ausgangspunkt, um unser Leben in Zukunft radikal zu verändern.
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Das Kuriose: Graphen besteht eigentlich aus nichts anderem als Kohlenstoff - einem Stoff, der auf diesem Planeten allgegenwärtig ist - z. B. in Bleistiftminen, Vitaminen oder in der Luft. Fakt ist aber: Wir wissen trotzdem kaum etwas über diesen Stoff, der an rund 90 Prozent aller chemischen Verbindungen überhaupt beteiligt ist. Erst seit wenigen Jahren beginnt man, seine Fähigkeiten ansatzweise zu erahnen:
"Graphen vereint eine ungewöhnliche Zahl von Superlativen", erklärt Jurgen Smet vom Max-Planck-Institut für Festkörperforschung in Stuttgart. Es kann Energie und Wärme effektiver leiten als Kupfer, ist transparent, absorbiert gleichzeitig Licht, es ist 80.000-mal dünner als ein menschliches Haar, dennoch stabiler als Beton, mehr als 100-mal fester als Stahl, extrem flexibel und so dicht, dass nicht einmal Helium - das kleinste Gasatom - hindurch passt.
Für Klaus von Klitzing - Nobelpreisträger für Physik und Professor am Max-Planck-Institut für Festkörperforschung in Stuttgart - ist Graphen deswegen der "Superheld unter den Materialien". Es ist in seinen Fähigkeiten kaum begrenzt. "Je nach Erscheinungsform kann es unterschiedliche Kräfte entwickeln." Doch was macht Graphen so besonders, und wie wollen Forscher damit unsere Zukunft formen?
Wie Tesafilm die Welt veränderte
Bis zum 22. Oktober 2004 hatte Graphen in der Wissenschaftswelt keinen guten Stand. Es galt lange als ein Stoff, der nicht existieren kann. Der Grund dafür ist die besondere Struktur von Graphen aus einzelnen Kohlenstoffatomen, die sich nebeneinanderliegend zu gleichmäßigen Sechsecken zusammenfügen. Da Graphen aus nur einer Lage Atomen besteht - also nicht dicker ist als ein einzelnes Kohlenstoffatom - bezeichnet man den Stoff als zweidimensional.
Das Problem: Zweidimensionale Systeme galten in der Physik als instabil und Graphen deswegen als physikalisch unmöglich. Eine beispiellose Fehleinschätzung, die von den Nobelpreisträgern Konstantin Novoselov und Andre Geim erst im Herbst 2004 aufgedeckt wurde - und das mit einfachsten Mitteln. Tatsächlich erschufen die Forscher der Manchester University das erste stabile zweidimensionale Material der Welt mit nicht mehr als einem Streifen Tesafilm, Fotolack und einem Stück Grafit - jener kohleähnlichen Substanz, die auch in Bleistiften steckt.
Um aus Grafit einlagiges Graphen zu machen, nahmen die Forscher ein Stück Tesa, klebten das auf den Grafitblock und zogen es wieder ab. An dem Tesa-Streifen blieb eine sehr dünne, aber immer noch mehrlagige Kohlenstoffschicht haften. Um die weiter abzutragen, klebten sie das kohlebehaftete Stück Tesa auf eine Silizium-Platte, die mit Fotolack bestrichen war - und zogen den Klebstreifen erneut ab. Das Ergebnis: hochwertiges und stabiles Graphen - und die Widerlegung eines vermeintlichen Naturgesetzes.
Wie hart ist ein Fingerabdruck?
Heute ist Graphen der Mittelpunkt eines Multi-Milliarden-Dollar-Markts. Doch um den schnell wachsenden Bedarf abdecken zu können, braucht es neue Methoden. Eine Lösung des Problems könnte nun ein Forscherteam der Universität des Saarlandes gefunden haben. In einem spektakulären Verfahren gelang es, Graphen aus Schweiß - der Kohlenstoffverbindungen enthält - zu gewinnen.
Probanden hatten dazu Fingerabdrücke auf einer Folie hinterlassen, die in einem Vakuumofen bei rund 700 Grad Celsius gebacken wurde. Das Ergebnis: Graphen. Dieses Herstellungsprinzip nennt sich Chemical Vapor Deposition. Schon in naher Zukunft will man so aus allen Flüssigkeiten mit Kohlenstoffverbindungen (z. B. Aceton) Graphen im großen Stil gewinnen. Der Vorteil: Flüssigkeiten mit Kohlenstoffverbindungen lassen sich leicht auftreiben und sind billig. Eine Massenproduktion des wertvollen Stoffs rückt damit in greifbare Nähe.
Revolution aus dem Bleistift
Zwar gilt Graphen als ein Stoff der Zukunft, es ist aber in der Gegenwart längst schon präsent. Noch in diesem Jahr bringt die britische Firma Graphene Lighting eine Graphen-Glühbirne auf den Markt. Ein Produkt, das "weniger Energie verbraucht als die sparsame LED-Technik, niedrigere Herstellungskosten hat und mit nachhaltigeren Materialien produziert wird", erklärt Colin Bailey, Professor an der University of Manchester.
Die Nutzung des Wunderstoffs steht zwar erst am Anfang, aber schon klingen die technischen Innovationen wie aus einem Science-Fiction-Film. So meldete der südkoreanische Konzern Samsung bereits 2014 ein Patent an, bei dem es um die Herstellung von durchsichtigen, foliendünnen Graphen-Computern geht, die zugleich Touchscreen, Handy und hochauflösender Bildschirm sind - und gefaltet oder gerollt werden können.
Auch eine andere Eigenschaft ist beeindruckend: Graphen ist transparent und gleichzeitig lichtabsorbierend - also optimal, um damit Sonnenenergie mit einem speziellen Fensterglas einzufangen. Forscher der Technischen Universität von Barcelona konnten im Versuch mit Solarzellen aus Graphen einen Wirkungsgrad von 50 Prozent erreichen, 60 Prozent sollen möglich sein - schwindelerregende Werte, die den Wirkungsgrad von marktüblichen Solarzellen um das Doppelte übertreffen.
Doch das sind noch lange nicht alle Fähigkeiten des neuen Wundermaterials. Physiker entwickeln zurzeit Möglichkeiten, um die Leitfähigkeit von Graphen zu nutzen und damit unsere Energietechnik zu revolutionieren. Die vielleicht bedeutendste Verwendungsmöglichkeit von Graphen hat aber der US-amerikanische Rüstungskonzern Lockheed Martin entwickelt: einen Graphenfilter, mit dem Natrium und Chlor aus Wasser gefiltert werden.
Um Graphen in einen Salzfilter zu verwandeln, mussten die Ingenieure das superdichte Material lediglich mit Löchern versehen, die groß genug sind, um Wasser durchzulassen und andere Stoffe (auch Verunreinigungen oder Medikamentenrückstände) abzublocken. Diese Graphen-Filter sind 500-mal dünner als die dünnsten bisher entwickelten Salzfilter und benötigen nur rund ein Prozent der Energie, um aus Meerwasser Trinkwasser zu machen. Schon 2015 sollen mithilfe dieser Technik Entsalzungsanlagen zur Trinkwasserproduktion entstehen.
Es sind Projekte wie diese, die Graphen zur vielleicht vielversprechendsten Entdeckung des 21. Jahrhunderts machen. Die Europäische Union jedenfalls glaubt fest an den neuen "Superhelden der Materialien." Im Zuge des sogenannten "Flagship-Projekts" investiert sie eine Milliarde Euro in die Erforschung und Nutzbarmachung von Graphen - und damit vielleicht auch in eine bessere Zukunft für die Menschheit.
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