FREEMEN'S WORLD x Männersache

Ungewöhnliche Rekorde und ballern bis nichts mehr geht: Ultraläufer Florian Neuschwander im Interview

Florian Neuschwander ist Ultraläufer, bunter Hund und ein echter Typ mit einzigartigem Biss. Gerade hat er den Weltrekord über 100 Kilometer auf dem Laufband neu definiert. Nur einer von vielen in seiner Sammlung.

Florian Neuschwander
Muss immer wieder "ballern": Ultraläufer Florian Neuschwander Foto: Phil Pham / Red Bull Content Pool
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FREEMEN'S WORLD x Männersache

Am 25. März 2021 ist die neue Ausgabe des Männer- und Abenteuermagazins FREEMEN'S WORLD am Kiosk erschienen. Als stolzer Kooperationspartner gewähren wir dir erste spannende Einblicke ins Heft.

Hier präsentieren wir dir ein inspirierendes Interview mit dem Ultraläufer Florian Neuschwander.

Das ist Florian Neuschwander

Florian Neuschwander im Porträt
Foto: Phil Pham / Red Bull Content Pool

Brille, Cap, ein sensationeller Schnauzer und ein herzliches breites Grinsen. Das ist Florian Neuschwander. Ein Sympath durch und durch und ein Mann, der die Superlative gepachtet hat.

Er liebt die Extreme, und das stellt er immer wieder beeindruckend unter Beweis. Einen Marathon mit 2.000 Höhenmetern absolviert er in unter drei Stunden und legt dabei bergauf ein Tempo vor, dass nicht mal Rennradfahrer mitkommen.

Mehrfach wurde er nationaler Sieger des Wings for Life World Run, hat gerade mit einer Zeit von 6:26:08 Stunden einen neuen Weltrekord über 100 Kilometer auf dem Laufband aufgestellt und lief Ende letzten Jahres in sieben Tagen 13 Marathons! In Summe bedeutet das 550 Kilometer und 10.287 Höhenmeter in nur einer Woche. Da bleibt jedem Normalsterblichen nicht nur die Luft, sondern auch die Spucke weg.

Im Interview spricht der 39-Jährige über seine Infizierung mit dem Laufvirus und die daraus resultierende Konsequenz, immer wieder "ballern" zu müssen, wie Flo es so schön ausdrückt.

Immer auf Rekordjagd

FREEMEN'S WORLD: Lieber Flo, mit dem Schnauzer und deiner ganz besonderen Art wirst du als bunter Hund in der Laufszene wahrgenommen. Wie würdest du dich spontan in drei Worten beschreiben?

Florian Neuschwander: "Eigentlich völlig normal (lacht). Ich sag mal: normal, abenteuerlustig, immer positiv eingestellt!"

FREEMEN'S WORLD: So ungewöhnlich wie deine Rolle innerhalb der Szene ist, ist auch deine Szene an sich. Du wirst als Ultrarunner bezeichnet. Was bedeutet das eigentlich?

Florian Neuschwander: "Ich bin im Grunde einfach nur Läufer. Viele sagen zwar Ultraläufer, aber ich laufe ja alles, auch noch kürzere Strecken. Zum Beispiel 10.000 Meter. Hauptsächlich mag ich aber schon die besonderen Herausforderungen: ganz lange Strecken oder sehr steile. Oder eben Weltrekorde, auch wenn sie noch so ungewöhnlich sind."

FREEMEN'S WORLD: Weltrekord ist ein gutes Stichwort. Gerade hast du einen neuen aufgestellt. Ziemlich genau vor einem Jahr bereits den über 50 Kilometer auf dem Laufband und nun den über 100. War der zweite eine logische Konsequenz aus dem ersten?

Florian Neuschwander: "Der im Februar 2020 von mir aufgestellte Rekord wurde mittlerweile schon fünfmal gebrochen. Ich hab ihn sogar selbst noch mal um sechs Minuten unterboten. Aber der Schnellste war noch mal neun Minuten schneller als ich. An die Zeit, übrigens die schnellste Zeit überhaupt, die jemals jemand über eine Distanz von 50 Kilometern erlaufen hat, komme ich nicht ran. Deshalb: je länger, desto besser. Demnach folgte die 100-Kilometer-Challenge."

FREEMEN'S WORLD: Die du ziemlich erfolgreich bewältigt hast. Sechs Stunden, 26 Minuten und acht Sekunden für hundert Kilometer. Das ist eine sagenhaft durchschnittliche Pace von 3.51. Zudem hast du den bisherigen Rekord um ganze 13 Minuten unterboten. Brauchst du nach so einem Projekt erst mal eine längere Pause?

Florian Neuschwander: "Im Gegenteil, ich hab schon jetzt wieder Bock auf den nächsten langen Lauf. Der steht mit dem Wings for Life World Run am 9. Mai an. Und natürlich soll das auch nicht der letzte Rekord gewesen sein. Den offiziellen deutschen Rekord über 100 Kilometer peile ich auch an. Der muss aber auf der Straße gelaufen werden: Die Bestzeit liegt seit 1994 bei 6:24:29 Stunden, gelaufen von Kazimierz Bak im japanischen Saroma."

Florian Neuschwander beim Laufen
Foto: Phil Pham / Red Bull Content Pool

Kreative Challenge: "Von Laufen nach Laufen laufen"

FREEMEN'S WORLD: Auch wenn du zuletzt viel auf dem Laufband gesehen wurdest, ist das ja nicht dein einziges Metier. Neben deiner Laufband-Aktion war die letzte kreative Challenge das "Von Laufen nach Laufen laufen"-Projekt im vorigen Oktober. Innerhalb von sieben Tagen 550 Kilometer vom schweizerischen Laufen nahe Basel nach Laufen in Deutschland. Das sind alles keine typischen Laufaktionen. Wie kommst du immer wieder auf diese außergewöhnlichen Unternehmungen?

Florian Neuschwander: "Die besten Einfälle habe ich tatsächlich beim Training. Dann denke ich 'Das könnte ja ganz witzig sein' oder 'Da hab ich Bock drauf' und dann mach ich das (lacht). Ich überlege mir nicht vorher 'Was könnte man machen, was kommt cool an?'. Es sind plötzliche Einfälle und die ziehe ich dann eben durch."

FREEMEN'S WORLD: "Von Laufen nach Laufen laufen" wurde öffentlichkeitswirksam umgesetzt, weshalb du auf der Strecke immer wieder Unterstützung durch fleißige Mitläufer hattest. Wie war das Gefühl, von Fans und Hobbyläufern, aber auch von bekannten Athleten wie Konrad Abeltshauser aus der Eishockeyszene oder der Telemark-Skifahrerin Johanna Holzmann begleitet zu werden?

Florian Neuschwander: "Es war superwitzig! Vinzenz Geiger war ja auch dabei, der hat gerade ein paar Weltcups in seiner Disziplin gewonnen als Nordischer Kombinierer. Ist schon cool, wenn solche Weltklasseathleten plötzlich irgendwo stehen und einfach mal ein Stück mitlaufen. Das gibt Schwung und lockert eine derartige Leistungssituation natürlich enorm auf. Wir haben auf jeden Fall viel gelacht."

FREEMEN'S WORLD: Entwickelt sich auf solchen Ultraruns aus der Extremsituation heraus ein besonderes Gemeinschaftsgefühl unter den Läufern? Entstehen womöglich sogar neue Freundschaften?

Florian Neuschwander: "Klar, das kann auf jeden Fall passieren, man erlebt ja schon viel zusammen. Und bei so ganz langen Dingern wie der 'Von Laufen nach Laufen laufen'-Aktion ist man eben auch auf Unterstützung angewiesen. Ohne Support würde so was nicht funktionieren. Es macht zudem viel mehr Spaß, wenn andere mitmachen und man nicht allein alles abreißen muss."

FREEMEN'S WORLD: Gemeinsam ist im Moment ja mitunter nicht so leicht. Auf welche Art beeinflusst Corona deinen Alltag und deine Karriere als Ultrarunner? Schränkt dich das sehr ein?

Florian Neuschwander: "Nö, eigentlich zum Glück weniger, da ich Profi bin und auch eher unkonventionell trainiere. Ich brauche keine 400-Meter-Bahn und auch kein Fitnessstudio. Ich trainiere auf dem Laufband. Allein. Ganz für mich. Daher trifft es mich nicht so. Aber für andere Leute stelle ich mir das schon hart vor. Irgendwie drückt Corona natürlich ein bisschen auf die Stimmung und ich hoffe, dass das auch irgendwann vorbei ist. Dennoch bin ich grundsätzlich eigentlich ziemlich positiv eingestellt. Immer weiter, immer weiterkämpfen! Und nicht den Kopf in den Sand stecken. Das gibt’s bei mir nicht!"

Florian Neuschwander auf dem Laufband
Foto: Phil Pham / Red Bull Content Pool

Ballern bis die Füße streiken

FREEMEN'S WORLD: Dein persönliches Laufmotto, das uns immer wieder begegnet, lautet "ballern!". Das kann natürlich verschiedene Sachen bedeuten. Was heißt ballern für dich?

Florian Neuschwander: "Wie auch 'Run with the FLOw', der Name meiner Website, ist 'ballern!' mein Motto beim Laufen. Ich sage ballern, wenn ich schnell laufen gehe. Aber ballern ist individuell. Jeder ballert halt so, wie er kann, der eine ballert schneller, der andere ballert ein bisschen langsamer. Ist auch egal, Hauptsache, man hat Spaß dabei. Ich baller so, wie ich mich fühle. Es kann zum Beispiel sein, dass ich rausgehe und nur ganz easy joggen will, mich dann aber so gut fühle, dass ich richtig aufs Tempo drücke und losballere. Wenn ich mich nicht so gut fühle, lass ich es aber auch sein und mache vielleicht sogar mal einen Ruhetag."

FREEMEN'S WORLD: An Grenzen zu stoßen, gehört selbst für einen Ausnahmeathleten wie dich dazu. Wie gehst du mit Enttäuschungen um?

Florian Neuschwander: "Klar gehört das dazu. Und ich kann auch mal richtig niedergeschlagen sein, wenn es auf einem Wettkampf nicht so klappt. Zum Glück gelingt es mir, Niederlagen aber recht schnell abzuhaken. Dann denk ich: 'Okay, heute sollte es halt nicht sein.' Gibt auch Athleten, die trauern da lange hinterher. Aber das bringt ja nix. Ich mache dann meist zwei, drei Tage Pause, dann kommt die Lust am Laufen direkt wieder. Ich verschwende keine Energie an Niederlagen."

FREEMEN'S WORLD: Fließen auf ganz besonders harten Strecken dann auch mal Tränen?

Florian Neuschwander: "Eigentlich weniger. Ich muss auch nicht heulen, wenn ich irgendwas erreicht habe. Ich raste dann eher mal aus, schreie im Ziel rum wie so ein Verrückter (lacht). Ich lass halt die Emotionen raus."

FREEMEN'S WORLD: Ganz anderes Thema: Wie pflegst du deine zerschundenen Füße nach einem langen Lauf? Hast du ein Pediküre-Studio deines Vertrauens?

Florian Neuschwander: "Nö, gar nix! Mein rechter Fuß ist eh nicht mehr zu retten, da sind die Fußnägel immer blau. Der Linke sieht gut aus. Vor einem langen Lauf schmiere ich mir mit Vaseline die Füße ein, damit ich keine Blasen kriege. Das funktioniert gut. Nach dem Lauf mache ich nichts Besonderes, vielleicht lege ich mich zur Regeneration in die heiße Wanne und nehme ein Muskelerwärmungsbad."

Florian Neuschwanders angeschlagene Füße
Foto: Phil Pham / Red Bull Content Pool

Pläne für die Zeit nach dem Laufen

FREEMEN'S WORLD: Seit deiner Teilnahme an einem Schülerlauf – da warst du 16 Jahre alt – bezeichnest du dich als "infiziert" mit dem Läufervirus. Der Sport gibt dir offensichtlich ziemlich viel. Inwiefern ist dein Dasein als Ultrarunner auch eine Lehre für alltägliche Probleme und was nimmst du aus deiner Laufkarriere für dein Privatleben mit?

Florian Neuschwander: "Für mich ist die wichtigste Erkenntnis aus dieser ganzen Zeit, immer da dranzubleiben, worauf man Bock hat! Muss auch gar nicht Laufsport sein. Ich hätte ja früher auch nie gedacht, dass ich mal ein Profiläufer werde, so zäh bin und konstant Lust hab, zu laufen. Da gab es auch Stimmen wie 'Warum läufst du denn immer noch?' oder 'Kannst du nicht endlich einen normalen Beruf machen?'. Ich habe sogar mal als Einzelhandelskaufmann in einem Sportgeschäft gearbeitet. Aber im Kern war da immer der Wunsch, einfach zu laufen. Und das ging im Laden natürlich nicht. Irgendwann habe ich zum Glück den Punkt erreicht, ab dem ich von meinem Sport leben konnte: durch Sponsoren und meinen Onlineshop. Jetzt kann ich einfach Profi sein und Laufen als Beruf ausüben. Damit ist ein Traum für mich wahr geworden."

FREEMEN'S WORLD: Nicht nur deine Projekte sind unkonventionell. Dein Training ist es auch. An Stabi- oder Krafttraining hast du nicht so richtig Spaß und lässt es demnach auch sein. Gehst du stattdessen einfach jeden Tag mehrere Stunden laufen oder wie sieht deine Trainingsroutine aus?

Florian Neuschwander: "Mein Training ist schon ziemlich individuell. Auf Social Media sieht es manchmal so aus, als würde ich jeden Tag laufen wie so ein Verrückter, aber das ist gar nicht so. Wir haben aktuell zum Beispiel viel Schnee und auch Eis. Da möchte ich mich nicht verletzen und absolviere nur die wichtigsten Laufeinheiten. Im Schnitt bin ich so viermal die Woche aktiv. Und wenn der Schnee weg ist, im Frühjahr/ Sommer, und Wettläufe anstehen, dann geh ich schon einmal täglich laufen, das ist klar."

FREEMEN'S WORLD: Du wirst dieses Jahr 40 Jahre alt. Macht dir diese Zahl Angst oder gehst du entspannt damit um, dass deine Karriere wie bei allen Profisportlern endlich ist?

Florian Neuschwander: "Dass sie endlich ist, weiß ich, that’s Life! Aber mindestens sechs, sieben Jahre will ich noch in der Weltelite vorn mitmischen. Ich hab noch lange nicht alles gezeigt, was ich eigentlich auf den Ultradistanzen draufhabe. Und gerade die ganz langen Nummern wie 100 Kilometer oder 100 Meilen kann man eigentlich bis 50 gut rennen. Deshalb mische ich schon noch ein bisschen mit. Vielleicht ja sogar noch zehn Jahre."

FREEMEN'S WORLD: Hast du schon Pläne für die Zeit danach?

Florian Neuschwander: "Nein, noch nicht konkret, aber ich hätte tatsächlich Bock, ein Café aufzumachen und kleine, leckere vegane Gerichte anzubieten. Abends würde das Ganze zur Bar mit frischen kühlen Getränken werden. Vielleicht würde ich auch Künstler vor Ort unterstützen und ein bisschen Livemusik spielen lassen."

FREEMEN'S WORLD: Das klingt auf jeden Fall nicht nach Beine- Hochlegen. Gibt es einen läuferischen Traum, den du noch nicht erreicht hast?

Florian Neuschwander: "Beim Ultra-Trail du Mont-Blanc möchte ich gern noch starten. Geht in Chamonix in Frankreich los über 168 Kilometer und ungefähr 10.000 Höhenmeter. Das ist der bekannteste, bestbesetzte Ultra-Trail-Lauf der Welt. Da sind alle Topstars am Start! Da muss man als Ultraläufer mal gewesen sein. Diesen Traum möchte ich mir auf jeden Fall noch vor dem Café erfüllen."

Florian Neuschwander bei der Essenszubereitung
Foto: Phil Pham / Red Bull Content Pool

Über Freemen's World: Freemen's World richtet sich an moderne Männer, an Macher, an Helden des Alltags. Männer, die Beruf, Familie, Freunde und Hobbys trotz aller Widrigkeiten unter einen Hut bekommen, die ihre Träume verwirklichen, die Faszination und Abenteuer suchen und sich das auch leisten können.

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