Unglaublich: So lief die erste Durchquerung Australiens ab
Noch vor wenigen Jahrhunderten war die Erde ein Ort, über den die Menschen nicht viel mehr wussten als wir heute über den Mars. Um das zu ändern, zogen wagemutige Entdecker los, segelten hinter den Horizont, wanderten bis ins dunkle Herz der Kontinente oder drangen in die tiefsten Dschungel ein. Manche kehrten als Helden zurück – doch viele andere sah man nie wieder.
"Der Kern der dunklen Masse"
Kontinente wurden schon immer von ihren Küsten aus erobert, hier legten die ersten Entdecker an, hier entstanden die ersten Siedlungen der neuen Welt. Während die Umrisse der Landmassen relativ zügig kartiert werden konnten, blieb ihr Inneres jedoch oft jahrhundertelang unbekannt. So ist es auch bis Mitte des 19. Jahrhunderts in Australien.
Und genau das will der deutsche Entdecker Ludwig Leichhardt ändern. Am 5. April 1848 steht er an der Station am Cogoon-Fluss, einer Farm etwa 400 Kilometer nordwestlich von Brisbane. Es ist der letzte Außenposten der Zivilisation. Was sich zwischen Australiens Ostküste und der 3600 Kilometer Luftlinie entfernten Westküste befindet, weiß zu diesem Zeitpunkt niemand, selbst die kühnsten Entdecker sind bis dato mit diesem Vorhaben gescheitert. "Dieses Innere, dieser Kern der dunklen Masse ist mein Ziel, und ich werde nicht eher nachlassen, als bis ich es erreiche", schreibt Leichhardt seiner preußischen Familie zum Abschied.
Sieben Millionen Quadratkilometer
Er will gemeinsam mit vier Europäern und zwei Aborigines den Kontinent komplett durchqueren. Schon die Vorräte und die Ausrüstung verraten die Dimensionen ihrer Expedition: 350 Kilo Mehl, 50 Kilo Tee, 45 Kilo Salz, verteilt auf 20 Lastenesel und sieben Pferde, dazu 49 Ochsen, Messgeräte, Zelte sowie Blei und Schießpulver für die Gewehre hat der 34-jährige Pionier zusammengestellt.
Vor dem Trupp liegt ein sieben Millionen Quadratkilometer weißer Fleck auf der Weltkarte. Da Leichhardt kurz zuvor als erster Weißer den Norden des Kontinents erfolgreich durchquert hat, ist er schon zu dieser Zeit ein Held in Australien. Jetzt jedoch will er unsterblich werden.
Leichhardt und sein Expeditionsteam ziehen zunächst Richtung Norden. Wie sein großes Vorbild Alexander von Humboldt will er dort Flora und Fauna studieren, neue Arten entdecken und das Land vermessen. Erst danach plant er zum glühend heißen Herzen des Kontinents vorzustoßen und dann den Südwesten zu erkunden, ehe er die damalige Kleinstadt Perth an der Westküste erreichen will.
Simpsonwüste
Insgesamt umfasst die Route fast 10 000 Kilometer. In den ersten Tagen scheint alles nach Plan zu verlaufen. In einem Brief an einen Freund schreibt er: "Myriaden von Fliegen sind unsere einzige Plage. Ich bin von Hoffnung erfüllt, dass unser allmächtiger Beschützer mir gestatten wird, meinen Lieblingsplan zu einem erfolgreichen Ende zu führen.“ Womit niemand rechnet: Es ist das letzte Lebenszeichen des Abenteurers. Seitdem sind Leichhardt und sein Expeditionsteam verschollen – und ihr Tod eines der größten Mysterien der Entdeckungsgeschichte.
100 Jahre lang schicken australische Regierungen immer wieder Suchtrupps los. Tatsächlich finden sie in der Wüste menschliche Knochen, Fußspuren eines Weißen, Abdrücke von Pferdehufen, Überreste eines Lagers und Baummarkierungen mit einem großen "L". Sogar eine Kupferplakette mit dem Namen Leichhardts wird entdeckt.
Im Jahr 2006 hält das National Museum of Australia schließlich fest: "Viele Theorien sind entwickelt worden, um zu erklären, wo Leichhardt starb: Die meisten von ihnen schlussfolgern, dass er irgendwo in der Nähe der Simpsonwüste umkam." Damit wäre der Deutsche tiefer ins Innere des Kontinents vorgestoßen als je ein Europäer vor ihm. Bleibt die Frage, wie Leichhardt ums Leben kam?
Vier Szenarien des Todes
Grundsätzlich halten Historiker vier Szenarien für möglich:
1. In den extrem trockenen und unbelebten Wüsten gingen dem Expeditionsteam das Wasser oder die Vorräte aus – und sie verdursteten oder verhungerten.
2. Die Männer wurden nach anhaltenden Regenschauern von einer Sturzflut in einem ausgetrocknetem Flussbett überrascht.
3. Der Trupp wurde – wie schon Leichhardts vorherige Expeditionen – von Aborigines angegriffen und diesmal getötet.
4. Aufgrund von Leichhardts rigorosem Führungsstil kam es zu einer Meuterei in der Gruppe – mit fatalem Ausgang für alle Teilnehmer.
Was es auch war, am Ende hat Leichhardt sein Ziel dennoch erreicht. Zwar ist er nie an der Westküste angekommen – aber sein Name ist durch die Expedition zumindest in Australien unsterblich geworden. So sind bis heute auf dem Kontinent Hunderte Straßen und ganze Stadtteile nach ihm benannt, Flüsse und Berge tragen seinen Namen – und in Schulen wird seine Geschichte gelehrt. Es ist die Geschichte von einem der wagemutigsten Entdecker der Welt – den in Deutschland bis heute kaum jemand kennt …