Interview

"Jeder sollte mehr draußen sein": Abenteurer Aldo Kane im exklusiven MNRS-Interview

Aldo Kane ist ein Outdoor-Experte, der Filmteams an abgelegenen Orten auf der ganzen Welt betreut. Ein Gespräch über Herausforderungen, die Tücken der Komfortzone und die Gegenstände, die Kane auf eine einsame Insel mitnehmen würde.

Aldo Kane
Wir haben Aldo Kane zum Interview auf den Azoren getroffen Foto: Canada Goose
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Zehn Jahre lang war er Kommandeur und Scharfschütze bei einer britischen Elitetruppe. Dann wechselte Aldo Kane in die Welt der Abenteurer und des Fernsehens.

Seither besteigt der Schotte Berge, leidet Expedition, paddelt durch Flüsse und Meere. Seine Kulisse ist die freie Natur, Umgebungen, die vor allem extrem sein müssen.

Er begleitet Filmcrews an gefährlichen Orten, sorgt für die Sicherheit aller am Set. Gleichzeitig mehren sich die eigenen Projekte. Ein Buch, indem er seinen Weg als Abenteurer zeichnet, Dokumentationen.

Wir haben den Abenteurer und Outdoor-Experten zum Interview getroffen. Ein Gespräch über eine Kindheit im Freien, über das Gefühl der Orientierungslosigkeit und warum es oftmals hilft, einfach tief durchzuatmen.

Wann hat dein Leben als Abenteurer begonnen?

Aldo Kane: Ich glaube, mein Leben als Abenteurer begann, als ich noch ein Kind war. Wir waren zu fünft, und wir hatten kein Geld. Also verbrachten wir die meiste Zeit draußen.

Wahrscheinlich habe ich mein ganzes heutiges Abenteuerleben den Pfandfindern zu verdanken. Sie haben mir in meiner Jugend so viele Fähigkeiten vermittelt, die ich später beim Militär eingesetzt habe - und immer noch einsetze.

Wenn ich mit berühmten Menschen auf Expeditionen unterwegs bin, binde ich ihre Hängematten im Dschungel noch immer mit den Knoten, die ich mit elf, zwölf Jahren gelernt habe.

Du hast mal gesagt, dass du dich nach deiner Zeit bei der Marine verloren gefühlt hast, als hättest du deine Leidenschaft eingebüßt. Wie hast du sie wieder gefunden?

Ich war zehn Jahre lang beim Militär und bin eingetreten, als ich noch sehr jung war - 16 Jahre alt. Ich war in dieser Zeit bei vielen Einsätzen dabei und hatte irgendwann das Gefühl, dass ich ganz oben auf dem Treppchen stand und mich nach etwas anderem umsehen musste. Irgendetwas brannte in mir und drängte mich, aber ich wusste nicht, was es war. Das war eine ziemlich schwierige Zeit, in der alles in meinem Wesen mich in eine Richtung drängte.

Auch wenn es sich damals falsch anfühlte, war es im Nachhinein betrachtet ein Synonym für Abenteuer und das Leben im Allgemeinen. Ich wurde in unbekannte Bereiche gedrängt, in denen ich wachsen, lernen und mich selbst überraschen und auch erschrecken konnte.

Ich verbrachte einige Jahre damit, nicht zu wissen, was ich tun und wohin ich gehen sollte und hatte wieder mehr Zeit in der freien Natur. Da machte es "Klick" und ich konnte wieder spüren, warum ich überhaupt zum Militär gegangen war. Ich trieb mich ein paar Jahre herum, konzentrierte mich auf das, was ich gerne tat, in der freien Natur zu leben und als Mensch draußen zu sein. Es hat mich wieder in die richtige Richtung gebracht.

„Irgendetwas brannte in mir und drängte mich, aber ich wusste nicht, was es war. “
Aldo Kane

Was rätst du denen, die sich in einer ähnlichen Situation befinden, sich irgendwie verloren fühlen?

Ich habe einmal zehn Tage in einem winzigen Raum, in einem Bunker unter der Erde verbracht. Das war ein Experiment für eine Fernsehsendung.

Dort habe ich festgestellt, dass meine mentale Gesundheit nach zehn Tagen ohne menschlichen Kontakt, ohne körperliche Betätigung und Aufenthalt im Freien gelitten hat. Es ging mir nicht gut.

Seither weiß ich: Um eine solide Grundlage zu schaffen, treffe ich mich mit meinen Freunden, trainiere draußen, laufe, gehe spazieren, schwimme, was auch immer das sein mag. Das ist ganz einfach, und all das ist kostenlos.

Mein persönlicher Ratschlag lautet also: Jeder sollte mehr draußen sein. Jeden Tag. Sich die Sonne ins Gesicht scheinen zu lassen, sich dem Tageslicht aussetzen, ist so wichtig für die mentale Gesundheit. In der Natur zu sein hilft.

„In der Natur zu sein hilft. “
Aldo Kane

Die zweite Sache, die viele Leute als unangenehm empfinden ist, sich selbst zu fordern. Wir alle verfügen über Systeme, die dazu führen, dass wir es bequem und sicher haben wollen. Diese Systeme schützen uns.

Es ist ein bisschen so, wie wenn ich klatsche. Nehme ich beide Hände und klatsche wie ich es sonst auch immer tue, fühlt es sich auch normal an. Ich fühle mich wohl dabei. Aber wenn ich meine Hände dabei andersherum halte, ist das unangenehm. Mache ich das ein paar Mal hintereinander, vergesse ich jedoch nach einer Weile, mit welcher Hand ich angefangen habe.

Was ich damit sagen will: Es fühlt sich am Anfang unangenehm an, aber man muss einfach den ersten Schritt machen. Du musst nicht wissen, wie der Plan für die nächsten zehn Jahre ist. Aber du musst wissen, dass du in der Lage sein wirst, anzufangen. Du musst aktiv werden, den ersten Schritt machen.

Erinnerst du dich an eine schwierige, gefährliche Situation, in die du geraten bist - und wie du dich dabei gefühlt hast?

Ich muss in einem Job oft mit schwierigen Situationen umgehen. Nach außen hin wirkt es vielleicht so, als würde ich außergewöhnlich hohe Risiken eingehen. In Wirklichkeit geht es darum, zu verstehen, was die Risiken eigentlich sind.

Tatsächlich begeben wir uns im Alltag in viel gefährlichere Situationen. Wir setzen uns ins Auto, legen den Sicherheitsgurt nicht an, sind vielleicht unaufmerksam, telefonieren am Steuer.

Das ist viel riskanter, als in einen Vulkan zu steigen - auch wenn er noch aktiv ist. Denn ich habe dann so viel geplant und vorbereitet, habe die richtige Ausrüstung und alles dafür getan, dass es sicher ist. Ich kann mit der Situation umgehen, weil ich alles bestmöglich vorbereitet und geplant habe.

Vor zwei Jahren war ich am Boden eines aktiven Vulkans. Ich hatte Angst, sogar eine leichte Panikattacke. Dann habe ich aber etwas gemacht, das mir immer geholfen hat. Lange, langsame, tiefe Atemzüge. Wenn man so atmet, kann man nachdenken. Und das Denken ermöglicht es, die richtige Handlung zu wählen, statt sich von der Angst hinreißen zu lassen. Man gewinnt Zeit in einer stressigen Situation.

„Die Atmung ist das Einzige, über das wir vollständige Kontrolle haben.“
Aldo Kane

Das ist auch etwas, was ich anderen in stressigen Situationen rate. Die Atmung ist das Einzige, über das wir vollständige Kontrolle haben. Wir sind uns dessen nie bewusst, obwohl wir es 27.000 Mal am Tag tun und nicht darüber nachdenken.

Tatsächlich hat es aber einen physiologischen Nutzen für das kohärente Denken unseres Gehirns. Es erlaubt uns zu denken, statt schusselig sein. Wenn wir in einer gefährlichen, stressigen Situation sind, dann ist das erste, was man tun sollte, innehalten und atmen. Diese zwei Sekunden verschaffen uns die Zeit, die richtige Entscheidung zu treffen.

Die Welt der Abenteuer scheint sehr männerdominiert zu sein. Was muss sich ändern, damit das Draußen sein inklusiver wird?

Wenn man sich zum Beispiel das Bergsteigen anschaut, dann sind es über die Jahre hinweg überwiegend weiße europäische Männer, die den Bereich dominiert haben. Das hat viel mit Möglichkeiten zu tun. Ich habe vor ein Paar Jahren einen Film mit dem Titel "Hidden Talents" gedreht, bei dem es darum ging, genau diese Welt zu entmystifizieren.

Was ich gemerkt habe: Männer scheinen geselliger zu sein, in den Dingen, die wir tun. Wir sind zwar schon früh risikofreudig - sind es aber gleichzeitig nicht wirklich. Wir packen zum Beispiel nicht unsere Sachen zusammen und reisen ein Jahr lang um die Welt. Wenn man in Südamerika unterwegs ist, sieht man überwiegend alleinstehende Frauen und nur selten alleinstehende Männer, die das tun. Ich denke, dass Frauen einfach ein tieferes Selbsvertrauen in sich haben.

Aber im Jahr 2023 haben wir es immer mehr mit weiblichen Abenteurern zu tun, die erstaunliche, epische Dinge tun. Ich habe gerade mit einer Frau namens Dr. Heidi Sevestre zusammengearbeitet, einer erstaunlichen Glaziologin und Klimaforscherin in Grönland. Wir kletterten zusammen mit Alex Honnold und Hazel Findlay, einer der besten Bergsteigerinnen der Welt, sie leitete uns auf dieser Expedition. Und die Ärztin dieser Expedition, Beth Healey, ist nicht nur eine Expeditionsärztin, sondern auch eine erstaunliche Skifahrerin. Sie sind da draußen und machen ziemlich erstaunliche Sachen.

Im Allgemeinen sind sie viel zurückhaltender und schreien nicht so sehr wie wir - aber das ändert sich. Ich glaube, es liegt an der Aufklärung - junge Mädchen müssen Berührungspunkte damit haben. Das hängt vor allem damit zusammen, dass wir draußen sind - und die Kinder von klein an nach draußen bringen.

In Deutschland gibt es eine YouTube-Show namens "7 gegen Wild", bei der man sieben Gegenstände auswählen muss, um in der Wildnis zu überleben. Welche sieben Dinge hättest du gewählt, um zu überleben?

Ich habe ein paar Basics, die ich immer dabei habe. Ich brauche nicht so viele, aber ein Messer ist immer griffbereit. Das Sprichwort sagt: "Trage ein Messer bei dir, rette ein Leben", weil sie in einer Überlebenssituation so nützlich sind. Es gibt nur eine Sache, die gefährlicher ist als ein scharfes Messer, und das ist ein unscharfes Messer.

Außerdem würde ich etwas mitnehmen, mit dem ich ein Feuer machen kann - und einen Wasserfilter, also eine Möglichkeit, Wasser zu reinigen. Denn wenn man sich das Dreieck ansieht, in dem man im Freien lebt, braucht man Nahrung, Wasser und eine Unterkunft. Danach würden wir zu den Luxusartikeln kommen, denn das ist im Grunde alles, was ich brauche.

In den USA gibt es diese große Bewegung, sich auf die Zombie-Apokalypse vorzubereiten, aber ein großer Teil des Überlebens ist eine Frage der Einstellung. Ich würde sagen, 99 Prozent des Überlebens hängt von der Einstellung ab.

Es gab eine Studie, die vor ein paar Jahren von einem Amerikaner durchgeführt wurde. Ich kann sie nicht zitieren, aber sie besagt im Wesentlichen, dass die Wahrscheinlichkeit, einen Vorfall zu überleben, bei Kindern im Alter von fünf bis zwölf Jahren am größten ist - und das liegt daran, dass sie keine vorgefassten Meinungen darüber haben. Sie beschäftigen sich einfach mit dem, was sie zu diesem Zeitpunkt tun müssen.

„Ein großer Teil des Überlebens ist eine Frage der Einstellung.“
Aldo Kane

Worauf achtest du bei deiner Kleidung, wenn du in einer Survival-Situation bist?

Je nachdem in welcher Umgebung man sich befindet, muss man seinen Körper vor den Elementen schützen. Ich habe gerade im November den Ama Dablam bestiegen und Canada Goose hat mir einen kompletten Gipfelanzug angefertigt, den ich in 7.000 Metern Höhe tragen konnte - ohne so etwas stirbt man.

Ich nenne es PPE, Person Protective Equipment. Im Wesentlichen geht es darum, eine Barriere zwischen der recht empfindlichen Haut und der Umwelt zu schaffen, und bei allem, was wir tun - ob in Panama oder auf dem Gipfel des Mount Everest - muss der Körper eine Temperatur von ungefähr 37 Grad halten.

Alles, was wir mit unserer Kleidung tun, dient dazu, diese Temperatur zu regulieren - egal, ob wir eine Schicht überziehen, um warm zu bleiben, oder eine Schicht ausziehen, um abzukühlen. Das ist es also, wonach ich gesucht habe - Schichten aus dem richtigen Material.

Für mich sind auch Naturfasern sehr wichtig. Früher habe ich gerne Fleece getragen - aber das ist Plastik und hält bei Outdoor-Aktivitäten nicht warm oder wird nass. Bei Naturfasern kann man weniger anziehen und es hält trotzdem wärmer.

Was steht als nächstes an, was ist auf deiner Liste?

Ich habe drei Orte, an denen ich noch nicht war, die ich aber unbedingt noch besuchen möchte. Alaska, die Antarktis und Patagonien. Das sind drei Orte auf meiner Top-Liste, die ich noch besuchen möchte.

In Alaska würde ich paddeln, das wäre etwas Besonderes. Da ich einen zweijährigen Sohn habe, überlege ich auch, wohin ich ihn mitnehmen kann - ich habe ihn schon nach Kathmandu und an einige andere Orte mitgenommen.

Ich würde ihm gerne diesen Sinn für Abenteuer und das Leben im Freien vermitteln, damit er, wenn er älter ist, mit der Erde verbunden ist.