Entschied der russische Geheimdienst den Wettlauf zum Mond?
Sergej Koroljow war seiner Zeit weit voraus, dafür musste er jahrelang in den Gulag. Später wurde er rehabilitiert und wurde zum angesehensten Wissenschaftler Russlands.
Sergej Koroljow: Aus dem Gulag bis zum Mond
Sergej Koroljow ist ein Todgeweihter. Seitdem der Ingenieur 1938 vom sowjetischen Geheimdienst NKWD unschuldig in einen Gulag deportiert wurde, wird er gefoltert und misshandelt. Er leidet an Hunger, Kälte und Skorbut. Nach sechs Jahren steht Koroljow mit einem Bein im Grab. Doch dann passiert etwas Unerwartetes: Der Mann, der nicht mehr als eine Häftlingsnummer ist, wird von hochrangigen NKWD-Agenten in einer Nacht-und-Nebel-Aktion aus dem Gulag befreit und nach Moskau gebracht. Was war passiert?
Als Koroljow 1938 verhaftet wird, arbeitet er an einer visionären Technikstudie. Doch sein raketengetriebenes Segelflugzeug RP-318-I ist seiner Zeit zu weit voraus – und wird vom Militär als nutzlos eingestuft. Erst als der NKWD 1944 erfährt, dass die USA kurz davor sind, eine Atombombe zu entwickeln, ändert sich die Einschätzung.
Mangels konkurrenzfähiger Langstreckenbomber sollen in Zukunft "große Raketen" die eigenen Kernwaffen tragen. Und so erinnert man sich an den in Ungnade gefallenen Raketentechniker – und ernennt ihn praktisch über Nacht zum Chef des russischen Raketenprogramms.
In dieser Funktion reist Koroljow 1945 nach Deutschland, um nach Überresten der deutschen V2-Raketen zu suchen. Zwar haben die USA die Abschussrampen zerstört, doch sie rechnen nicht mit der Brillanz von Koroljow. Der ist so gut, dass er u. a. anhand der Verteilung von Trümmern den technischen Aufbau der Raketen nachbauen kann. Innerhalb kurzer Zeit kann Koroljow die USA technisch nicht nur einholen, sondern abhängen.
Der Sputnik-Schock
Er konstruiert die erste atomwaffentragende Interkontinentalrakete und verhindert so womöglich einen Kernwaffenangriff der USA. Denn das Gleichgewicht der Kräfte ist nun wiederhergestellt. Als Koroljow 1957 mit seiner Sojus-Rakete den ersten Satelliten in den Orbit schießt, löst er damit in den USA den "Sputnik-Schock" aus – und provoziert Präsident Kennedy zu seinem Versprechen, dass die USA vor den Russen den Mond erreichen, obwohl Kennedy weiß, dass die Wahrheit eine andere ist.
Denn technisch sind Koroljows Raketen das Maß aller Dinge. Niemand in den USA kann verhindern, dass Russland den Mond vor den USA erreicht. Doch dann stirbt im Jahr 1966 Koroljow an den Spätfolgen seines Gulag-Aufenthaltes. Für Russlands Mondpläne ist es das Ende. Er kann nicht ersetzt werden, ist eine wissenschaftliche Singularität – ohne ihn bricht das russische Raumfahrtprogramm zusammen, Raketen explodieren, Menschen sterben.
Wie groß die Bedeutung Koroljows war, belegt die Tatsache, dass Russlands Kosmonauten bis heute mit der Rakete in den Weltraum fliegen, die Koroljow vor 65 Jahren im Alleingang entwickelt hat.