Mehr als Mysterie

Seemannsmythen: Die geheime Physik der Geisterschiffe

Fast jeden Tag verschwindet ein Schiff spurlos in den Weiten der Ozeane. Tausende Seeleute gelten bis heute als vermisst. Nur hin und wieder tauchen einige dieser Geisterschiffe nach Jahren vor den Küsten auf.

Geisterschiffe sind sehr unheimlich
Geisterschiffe sind sehr unheimlich Foto: iStock / horstgerlach
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Aber was hat es mit den führerlosen Phantomen der Meere auf sich? Wie lange kann ein Schiff verschollen sein – und dann wieder auftauchen? Und was steckt hinter den Seemannsmythen?

Ein ungeschriebenes Gesetz gilt in den endlosen Weiten der Ozeane – jeder Kapitän kennt es, jedem Seefahrer ist dessen Bedeutung bewusst: "Verlass niemals dein Schiff!", lautet die wichtigste Verhaltensregel für das Überleben auf den Weltmeeren unseres Blauen Planeten.

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Selbst beim stärksten Sturm, bei haushohen Wellenbergen, bei Mastbrüchen, Motorschäden und sogar bei Feuer an Deck – ein Kapitän gibt sein Schiff nicht auf. Tatsächlich grenzt es an Selbstmord, auf offener See sein Glück allein zu versuchen.

Nicht etwa weil man ohne Schiff ertrinken würde, sondern vielmehr, weil man innerhalb weniger Stunden an Unterkühlung sterben würde. Und auch ein Rettungsboot besteigt man erst, wenn das Schiff sicher sinken wird.

All das wissen auch die erfahrenen Seefahrer eines koreanischen Fischerbootes. Umso fassungsloser starren sie auf das, was da vor ihnen im seichten Wasser treibt. 5.000 Kilometer vom nächsten Festland entfernt. Mitten im endlosen Pazifik.

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Seemannsmythen: Kann ein Schiff spurlos verschwinden?

Vorsichtig nähert sich die koreanische Crew einem 60 Meter langen Fischtrawler. Wie ein Geisterschiff dümpelt derStahlriese in der ruhigen Südsee. Als niemand auf die Funksprüche reagiert, und das scheinbar führerlose Schiff seine Position nicht verändert, gehen die koreanischen Seefahrer an Bord.

Dort finden sie jedoch keine Menschenseele. Zudem deutet nichts auf ein Verbrechen hin. Dafür fehlen drei Rettungsboote. Bei den Ermittlungen kommt schließlich heraus: Es handelt sich um den taiwanesischen Fischtrawler "Ta Ching 21".

Der Kapitän der 29-köpfigen Crew hatte vor knapp zwei Wochen bei ruhiger See den letzten Funkspruch abgegeben. Seitdem war der55-Tonnen-Koloss auf unerklärliche Weise wie vom Meeresboden verschluckt – genauso wie seine Besatzung.

Bis heute. Denn weder die verständigte neueseeländische Luftwaffe noch die französische Marine finden bei ihren großangelegten Suchaktionen auch nur einen der Vermissten. Die "Ta Ching 21" ist jedoch nur eines von Tausenden Geisterschiffen, die auf unseren Weltmeeren treiben.

Privatjachten mit mumifizierten Seeleuten an Bord, verlassene Zweimaster, die vollkommen intakt, aber ohne Besatzung an Stränden angespült werden; oder 80 Meter lange Tanker, die wie ein gigantisches Stück Sperrholz in den Weiten der Weltmeere umhertreiben – nur zufällig werden hin und wieder einzelne dieser Phantome derSeefahrt entdeckt.

Dabei ist es heutzutage eigentlich unmöglich, zu verschwinden: Die Schiffssicherheitsbestimmungen sind in den vergangenen Jahren so streng geworden, dass das Verschwinden einer Crew oder eines Schiffes nahezu ausgeschlossen ist.

GPS-Geräte melden in regelmäßigen Abständen die Schiffsposition; Satelliten überwachen dieMeere und spüren Unwetter auf; Autopiloten führen sicher durch Stürme. Und dennoch: "Insgesamt geht statistisch an fast jedem Tag des Jahres ein Schiff auf den Weltmeeren unter", sagt der US-Fachautor Craig B. Smith.

"DieSchiffe laufen auf Grund, sie sinken wegen eines Unwetters, eines Feuers, einer Kollision. Oder sie verschwinden einfach." Dabei reden wir nicht nur über Nussschalen und kleine Fischerboote, sondern auch über Containerschiffe, Tanker und Kreuzfahrtriesen.

Es gibt mehr Geisterschiffe als man denkt
Es gibt mehr Geisterschiffe als man denkt Foto: iStock / itacud

Geisterschiffe: Führerloses Kreuzfahrtschiff auf dem Atlantik?

Im September 2010 scheint das Schicksal der "Lyubov Orlova" endgültig besiegelt. 80 Crewmitglieder und 237 Passagiere gehen im kanadischen Hafen St. John ein letztes Mal von Bord, die Reederei des Kreuzfahrtschiffes ist pleite.

Zweieinhalb Jahre später soll der 100 Meter lange Ozeanriese in der Karibik abgewrackt werden – und wird von Schleppern entlang der Atlantikküste Richtung Süden gezogen. Plötzlich jedoch löst sich im Sturm dieLeinenverbindung, die "Lyubov Orlova" treibt führerlos, wenn auch fahrtüchtig und ohne Schäden aufs offene Meer hinaus – und wird zum größten Meeresphantom dieses Jahrhunderts.

Tatsächlich gelingt es weder den Schleppern noch der verständigten kanadischen Küstenwache, das Schiff wieder einzufangen, geschweige denn zu orten. Im Golfstrom treibend, nimmt es vermutlich Kurs auf Europa. Und so unglaublich es klingt: Seitdem sind 5.500 Tonnen Stahl spurlos verschwunden.

Na ja, fast spurlos. Immerhin gab es noch zweimal in den vergangenen fünf Jahren ein "Lebenszeichen". So meldeten sich im Abstand von mehreren Wochen die Notfunkbaken der Rettungsboote und gaben die Position des Schiffes durch.

Zur Erklärung: Die Sender werden automatisch aktiv, sobald sie mit Wasser in Kontakt kommen. Doch obwohl beide Male die Suchmannschaften innerhalb weniger Stunden im betreffenden Seegebiet waren, fanden sie nichts als endloses Blau.

Ein Grund, warum die Suche mittlerweile eingestellt ist, liegt vor allem im Offline-Modus des Kreuzfahrtschiffes: Aktive Schiffe verfügen über ein sogenanntes Automatisches Identifikationssystem (AIS), das laufend die Position mit anderen Schiffen austauscht.

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Da die "Lyubov Orlova" jedoch abgewrackt werden sollte, war dieses Ortungssystem bereits deinstalliert. "Ich glaube, das Schiff könnte noch Jahre im Atlantik treiben. Aber bevor ich keine weitere Anhaltspunkte habe, werde ich die Suche nicht fortsetzen", sagt der belgische Geisterschiff-Jäger Pim de Rhoodes.

Es könnte eine weise Entscheidung von de Rhoodes sein. Vor allem wenn man bedenkt, dass Foscher jetzt auf ein Phänomen gestoßen sind, das man noch bis vor Kurzem für Seemannsgarn hielt. Zu Unrecht, wie sich immer häufiger zeigt. Hier erfährst du mehr über Monsterwellen.