Die "Panamericana" mit der Harley-Davidson: Auf die alte Tour
Eine Straße, 5 Freunde, 30.000 Kilometer, 17 Länder, 10 Touren auf 10 Jahre, ein Traum: einmal die Panamericana auf Harleys abreißen.
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"Panamericana" mit der Harley-Davidson
Some things never get old … Man kann die Erde einmal klassisch an ihrer Gürtellinie umrunden – oder man nimmt den "Long Way Down", über 120 Breitengrade, auf einer der berühmt-berüchtigtsten Routen der Welt: der Panamericana. Manche nennen sie Traumstraße, Heico Forster "eine wunderschön anstrengende Mutprobe, die auf einem einzigen Weg zeigt, was die Natur zu bieten hat".
Er muss es wissen, er ist sie gefahren – von Alaska nach Feuerland. Auf einer Harley. Genauer gesagt auf einer Street Bob, dem unangepassten Easy-Rider-Erben im Sortiment der amerikanischen Kultmarke: Solositz, schmaler Vorderreifen, hoher Lenker. Die Arme müssen hier so hoch greifen, dass es einem irgendwann das Blut aus den Fingern zieht. Tja, wer cool sein will, muss leiden. Erst recht auf einer Superlativen-Wahnsinnstour wie dieser.
Ein kanadischer Grenzbeamter fragt noch, ob eine gute deutsche BMW denn nicht die bessere Wahl gewesen wäre. Ja, sicher! Aber vernünftig macht eben nur halb so viel Spaß – und wäre, wie Heico sagt, "grober Stilbruch gewesen": "Eine Harley hat eben diesen hartnäckigen Charme, dem Herren eines gewissen Alters gern einmal verfallen."
Wenn ein Traum plötzlich Realität wird, ist Bequemlichkeit Nebensache – und so reiten die vier Jugendfreunde aus Hamburg an seiner Seite ebenso individuelle wie unseriöse Tourenmaschinen.
Sie blubbern auf einer Forty-Eight (die dank erdnussgroßem Acht-Liter-Tank auf dem ersten Ritt bereits ohne Sprit liegen bleibt), zwei Fat Boys (das sind keine Motorräder, das sind Chopper, Baby!) und einer klassischen Dyna Super Glide gen Süden. Es ist nicht ihre erste gemeinsame Tour, doch wird es ihre längste. Detlef, Tom, Peter, Tommy und Heico kennen sich seit Kindertagen.
Sie fuhren auf der Route 66, durch Namibia, Laos, Uruguay und Indien, stießen sich die Hörner ab und holten Anlauf für das, wie sie sagen, "größte Abenteuer ihres Lebens": Zehn Jahre sollte es dauern, Sommer für Sommer je vierzehn Tage am Stück "von Raum und Zeit getrennt den Traum genießen, ihn dehnen, bis er nur noch glücklich macht und jede Sehnsucht stillt".
Es ist der alte Traum von Freiheit, der sich am besten mit einem laut röhrenden Verbrenner, den besten Freunden und möglichst vielen Grenzüberschreitungen befriedigen lässt. Panamericana, here we come.
2011 geht es los. Die neu erworbenen Bikes stehen blank poliert in Anchorage bereit und machen ihren begeisterten Besitzern schöne Augen. Wenn sie gewusst hätten, was diese Jungs ihnen zumuten würden, hätten sie vielleicht nicht so naiv gefunkelt. Doch so ist es am Anfang eines Abenteuers ja immer: Man weiß nie genau, was auf einen zukommt. Nach einem ersten scheuen Kennenlernen wird aufgesattelt und – wie könnte es anders sein – im Regen losgecruist.
Wer sich einen Eindruck verschaffen möchte, was die "Straße der Straße"“ einem Lonesome Rider beziehungsweise einer Handvoll Hamburger Harleyfans zu bieten hat, sollte einen Blick in den kürzlich erschienenen Bildband werfen. Heico Forster ist Designer und Autor. Er hat auf fünf Kontinenten Reportagen geschrieben, für den Stern, Geo, Amica, Max und National Geographic gearbeitet – und er ist einer der Gründerväter der FREEMEN’S WORLD.
Mit Abenteuern kennt sich dieser Mann aus. Mit Geschichten erzählen auch. Wie serviert er uns also den opulenten Traum vom freien Ritt um die halbe Welt? Er bricht es runter auf ein scheinbar schlichtes Rezept: "Tagsüber die Welt angucken, abends kaltes Bier trinken und nachts in billigen Motels schlafen." Dass das entstandene Gericht dann aber doch mehr zu bieten hat, als aus der knappen Beschreibung des Menüs ersichtlich wird, ist dem Talent des Küchenchefs zu verdanken.
Der Bildband ist trotz 30.000 Kilometer Materialvorlage ein weniger wuchtiges Holzfällersteak als erwartet; er ist eher ein wohl kuratierter Gruß aus der Küche, der einen von allem gerade so viel probieren lässt, dass man Appetit bekommt. Harley-Hunger – oder einfach den Wunsch, sich die Welt mit Fahrtwind im Gesicht genauer anzuschauen.
Denn auch wenn sich der Autor beim Erzählen gern mal hinter dem klassischen, leicht abgewetzten Motiv des Männerroadtrips versteckt und sich die Protagonisten neben dem Chopper-Ritt auch im Fliegenfischen, Glücksspiel und Golfen versuchen, einen Abstecher in den örtlichen Stripclub machen ("Am Ende ist es aber immer das Gleiche: teures Bier, ein bisschen Glotzen und dann wieder raus.") und sich trotz reicher, regionaler Kulinarik immer wieder für Steak mit Pommes entscheiden ("Alte Männer haben ihre Rituale."), wird das Narrativ vom Altherren Rockerleben immer wieder gebrochen, indem der Erzähler weit über den Tellerrand hinausblickt. Oldschool mit Augenzwinkern sozusagen. Vermutlich kann man mit so viel Reise- und Lebenserfahrung gar nicht mehr anders.
Der Text hält sich nicht mit großen Szeneriebeschreibungen auf, dafür gibt es die Fotos. Er erzählt kleine Anekdoten und setzt die zehnjährige Reise von fünf Hamburgern in den jeweils größeren historischen Zusammenhang. Da geht es um die Erschließung ganzer Kontinente, Naturkatastrophen, viel menschengemachtes Unglück, niemals fertiggestellte Projekte, historische Bauten, kulturelle Unterschiede sowie soziale, politische und ökologische Missstände.
Die Schere zwischen harter erzählter Realität und fotografierter Reiseästhetik (eine Mischung aus Harley-Davidson-Jahreskalender und National-Geographic-Sonderausgabe) könnte kaum größer sein.
Man trifft auf Personen zweifelhaften Rufs, liebenswürdige Gastgeber, Familienmitglieder wie Peters Ex-Frau oder Heicos 15-jährigen Sohn, der Papa auf der langen Route besucht und ihn überredet, der amerikanischen Tradition am Schießstand zu huldigen, sowie Harley-Versteher verschiedenster Nationen, Bären, Riesenspinnen, Seelöwen sowie allerlei verlassene Oldtimer und nostalgietriefende Orte.
Dazwischen mischen sich immer mal wieder spannende Einblicke in längst vergangene Abenteuer. Schulunterricht in Pablo Escobars Hood, Bürgerkriegsszenarien in Nicaragua, Paddeln auf dem Yukon, Motorradfahren durch Neu-Delhi, Hikes durch den Dschungel von Panama inklusive Biss einer 24-Stunden-Ameise. Was hat diese Truppe bitte nicht schon alles erlebt?
Man säße so gern mit am Stammtisch bei Steak und Bier, um ihnen die eine oder andere Frage zu stellen. Auf der anderen Seite die alltäglichen Wünsche von fünf Bikern, die mal durchgefroren, mal nachtblind, mal sonnenverbrannt, mal durchgerüttelt am Abend nicht mehr wollen als ein Bett und eine warme Dusche.
Vorsicht, auch die kann ihre Tücken haben! Vielleicht haben auch deshalb die Unterkünfte ein eigenes Kapitel bekommen: 144 Zimmer von Anchorage bis Ushuaia, Suiten und Absteigen. In welchem Bett sie am besten geschlafen haben, verrät uns Heico nicht.
Doch ist der Schlaf ja auch eigentlich abgeschrieben, wenn der große Traum tagtäglich vor einem auf der Straße liegt. Oder besser gesagt, den Straßen. Denn die Panamericana ist eine romantisch verklärende Verkürzung eines komplizierten Netzwerks. Das sieht man schon an der Farbe: Die Reifen laufen über nassen schwarzen Teer, heißes weißes Salz, roten klebrigen Staub, schmierenden grauen Schotter, glänzendes Kopfsteinpflaster, braun-schlammige Dschungelpfade und schneebedeckte Höhenpässe. Das ist gefährlicher, als es die zum Teil lapidar formulierten Beschreibungen vermuten lassen.
"Richtig garstig war sie nur mit ihren Schlaglöchern – die können einem glatt das Genick brechen. Jeder von uns hat die eine oder andere Senke zu spät gesehen. Taucht die Kiste zu schnell in so ein Loch ein, wird das Motorrad zum Rodeopferd. Die Stoßdämpfer stauchen krachend zusammen und der Fahrzeugrahmen knallt auf den Asphalt. Mit einem Riesensatz geht es zurück auf die Fahrbahn. Auf den nächsten Kilometern bist du dann wacher, als dir lieb ist."
Bis auf die eine oder andere Bagatelle kommen sie weitestgehend glimpflich davon. Und selbst als für einen der fünf in den Anden die Reise endgültig zu Ende ist, wird kein großes Klagegeheul erhoben. Es wird ernst und männlich geschwiegen. "Sehr schade." Überhaupt wird sich trotz aller Strapazen dankbar selten beschwert.
Weder Mann noch Maschine meckern oder maulen, jedenfalls nicht so, dass es beim Träumen behindern würde – und das, obwohl zwischendurch mal die Finger verkrampft, der Mund voller Insekten, die Haare voll Staub, der Hintern taub, die Klamotten muffig und klamm, die Betten mies, das Essen eintönig, die Nachbarschaft gefährlich, das Wetter grantig, die Tanks leer, die Straße marode und die Nerven blank sind. Wenn nur nicht der Papierkram wäre … Denn selbst mit den deutschen Pässen ist das Ein- und Ausreisen eine Tortur.
Auch die Tatsache, dass die Bikes in der Winterpause nicht nur Staub ansetzen, sondern zu Steuersündern werden, macht die Weiterfahrt in den Süden zum Kampf mit dem Fiskus, lässt Papierwälle wuchern und klingt tatsächlich so nervenaufreibend nach Geduldsprobe, dass man als Leser das erste Mal erwägt, diese fulminante Grand Tour lieber doch nicht nachfahren zu wollen. "Nur einmal haben wir alles richtig gemacht und einen Anwalt genommen."
Na ja, wie sagt man so schön, hinterher ist man immer schlauer. Is this the end? Heico schließt das letzte Kapitel „Am Arsch der Welt“ mit ambivalenten Gefühlen. "Zielfoto. Schulterklopfen und Freude über das Erreichte." Auf den zweiten Blick sei Ushuaia aber eine Enttäuschung gewesen, ein uncharismatischer, überlaufener "Rummelplatz für Reisende", resümiert er.
"Schon klar, wir sind auch welche. Aber wer reist ans Ende der Welt und setzt sich ins Hard Rock Cafe? Zugegeben, wir haben es tatsächlich versucht, aber es ist ein Albtraum. Auf der imitierten Showbühne versuchen sich ein paar alte Rheinländer als Shantychor. Den südlichsten Ort Amerikas habe ich mir verwegener vorgestellt."
Zum Glück war in diesem Fall wortwörtlich der Weg das Ziel. Die Magie der Panamericana. Kann es ein Danach geben? Klar. Am Telefon verriet uns Heico noch, dass er schon wieder die Satteltaschen packt: Es geht wieder los, von der Elbe in die Mongolei. Na, denn mal gute Fahrt!
von Alexandra Turner