Miriam Lancewood: DAS ist die wahre Lara Croft
Job, Wohnung, Handy, Sicherheit: Miriam Lancewood, 34, hat alles aufgegeben und ihr Leben auf einen 25-Kilo-Rucksack reduziert. Seit acht Jahren lebt die Niederländerin in der Wildnis, geht wie die mutige Filmheldin Lara Croft mit Pfeil und Bogen auf die Jagd. Angst? Fehlanzeige!
Sie kann in Sekunden von der Bildfläche verschwinden. Als wäre sie vom Wald und seinen grünen Riesen verschluckt worden. Schwierig, sie hier in den Rhodopen, dem südbulgarischen Gebirgsmassiv, zu finden, vier Stunden von Sofia entfernt. Miriam Lancewood legt es zwar nicht darauf an – "Warum auch? Ich habe nichts zu verbergen!" –, aber die 1,66 Meter große Niederländerin weiß genau, wie sie sich zu bewegen hat.
Natur und Tiere haben ihr das beigebracht. "Wenn ich will, bleiben keine Fußspuren zurück." Seit acht Jahren lebt die 34-Jährige in der Wildnis. Immer an ihrer Seite: ein Jagdbogen – und ihr 30 Jahre älterer Ehemann Peter, der locker als Gandalf aus "Der Herr der Ringe" durchgehen würde. Lange hält es die beiden nie an einem Ort. Sie sind immer in Bewegung. Rund 5000 Kilometer hat das Duo bisher zurückgelegt.
Sie, eine Sportlehrerin aus einem Ort im Osten Hollands; er, Neuseeländer, aufgewachsen auf einer Schaffarm, gelernter Koch, Weltenbummler und Universitätslektor für Philosophie. Beide spürten enormen Druck, einen Alltag aufrechtzuerhalten, der sich nicht richtig anfühlte. Unerträglich groß. Die Sehnsucht nach Freiheit ebenso. 2010 schmissen sie alles hin, verkauften, was sie besaßen, und zogen sich sieben Jahre in die Berge auf Neuseelands Südinsel zurück. Nun erkunden sie Europa, im Herbst geht es weiter nach Australien.
Die wahre Lara Croft
Miriam schultert 25 Kilo. Kochgeschirr, Taschenmesser, Kleidung, Zelt, Schlafsack. Sie strotzt vor Kraft. Bevor sie sich in die Wildnis zurückzog, war sie Vegetarierin. Getrieben von Hunger, warf Miriam im ersten Winter ihre Prinzipien über Bord. Erst das Fressen, dann die Moral.
Ein Opossum, eine Beutelratte, musste dran glauben. Es dauerte Wochen, bis sie überhaupt eine zu fassen bekam. Heute zählen Hasen zu ihren Lieblingsspeisen. Sie spannt den Bogen, kneift die Augen konzentriert zusammen, der Bizeps zittert vor Anspannung – der Pfeil trifft sein Ziel. Immer. "Die Reduktion des Besitzes und das Jagen haben mich verändert", sagt sie. "Mit physischer Stärke verschwindet die Angst – das Fehlen von Angst wiederum schafft Platz für Freude und Freiheit."
Ihre Batterien sind zu 100 Prozent aufgeladen. "Ich mag zwar wie eine primitive Wilde leben, aber ich bin kein Hippie", erzählt Miriam. "Würden wir krank werden, gingen wir natürlich zum Arzt."
Sie jagt, er kocht. So sieht die Arbeitsteilung in der Wildnis aus. Hasen, Wildziegen, Vögel werden mit einer Minisäge und der ausklappbaren Klinge ihres 20 Jahre alten Schweizer Taschenmessers zerlegt. "Von dem, was ich jage, habe ich mir noch nie eine Krankheit eingefangen", sagt sie. "In Europa, wo wir alle zwei Tage auf Menschen treffen, bekommen wir öfter Schnupfen."
Wer aufhöre, nach Sicherheit zu streben, bekomme zumindest die Chance, herauszufinden, was Freiheit ist. In ihrem Fall: alle Zeit der Welt zu haben. "Ich habe meinen Platz gefunden, und der ist hier in der Natur." Dann geht sie wieder los. Fast lautlos. Sekunden später ist sie weg.