Warum Kaiser Jiajing die eigene Flotte vernichten ließ
Falsche Entscheidungen, unüberlegte Aktionen, krasse Fehleinschätzungen: Wenn epische Fehler gemacht werden, erschüttert das den Lauf der Geschichte – und verändert die Menschheit für immer …
Die gigantische Flotte des Kaisers Xuande
Wie eine schwarze Wand pflügen im Sommer 1431 mehr als 100 gigantische Segelschiffe durch das aufgewühlte Wasser des Indischen Ozeans. Manche der Schiffe überragen die größten europäischen Flaggschiffe um das Fünffache, sind über 130 Meter lang, haben neun Masten und wiegen mehr als 1000 Tonnen.
Es ist die 27 500 Mann starke Expeditionsflotte des chinesischen Kaisers Xuande. Zu der Zeit ist die chinesische Flotte so mächtig, dass sie die asiatischen Seehandelsrouten beherrscht, Hafenstädte unterwirft und Dutzende Handelskolonien gründet, als man in Europa noch über einen Seeweg nach Indien rätselt.
Die fatale Entscheidung des Kaisers Jiajing
Doch 94 Jahre später ist diese vermeintlich unbesiegbare Kriegsflotte vernichtet – ebenso wie jedes andere hochseetaugliche Schiff in China. Der Grund: Um den Schmuggel mit Japan zu bekämpfen, befiehlt Kaiser Jiajing 1525, alle Schiffe mit mehr als zwei Masten zu verbrennen. Ein Fehler, der China nicht nur den Rang einer internationalen Seehandelsmacht kostet, sondern das Reich der Mitte auch innerhalb weniger Generation von einer militärischen Weltmacht zu einer europäischen Kolonie werden lässt …
Der Isolationismus Chinas
Die Entscheidung Jiajings leitet eine Phase der chinesischen Geschichte ein, die später als Isolationismus bekannt werden wird. In der festen Überzeugung, das Übel der Welt aus China aussperren zu können, schottet sich das Kaiserreich ab – zu einer Zeit, als europäische Seefahrernationen damit beginnen, die Weltmeere zu erobern.
Die Folgen: Da Jiajing nur Zugriff auf die eigenen Hochseeschiffe hat, stoßen andere Seefahrernationen in das von China hinterlassene Machtvakuum vor. 300 Jahre später ist China wehrlos, als britische und französische Flottenverbände das Reich der Mitte belagern – und den Kaiser zwingen, den Import und Verkauf von bengalischem Opium in China zu erlauben.
"Es ist absurd", erklärt der Sinologe Roderik Ptak. "Andere große Seefahrernationen wurden nach jahrzehntelangen Kämpfen von Rivalen verdrängt, verließen die Bühne mitunter als blutige Verlierer. Nicht so die Ming: Sie zogen sich aus freien Stücken zurück – und machten ihr Land zu einer leichten Beute."