Brandon Bryant: "Ich habe 1626 Menschen ohne Waffe getötet"
Wenn Brandon Bryant auf einen Knopf drückte, starben auf der anderen Seite der Erdkugel Menschen. Sechs Jahre lang ging das so. Dann quittierte der Drohnenpilot seinen Dienst. Doch die Bilder seiner Opfer, die er auf dem Monitor sterben sah, lassen ihn bis heute nicht los.
Die Momente vergehen wie in Zeitlupe. Die Bilder auf den beiden Monitoren sind gestochen scharf. Bryant sieht, wie drei Männer eine Straße entlanggehen - in Afghanistan, 12.000 Kilometer entfernt von dem kleinen Container, in dem er sitzt. Noch drei Sekunden. Plötzlich scheint einer der Männer etwas zu hören und rennt los. Augenblicke später leuchtet ein heller Lichtball auf dem Monitor auf. Bryant zoomt heran.
Als der Rauch sich lichtet, erkennt er einen gigantischen Krater, herumliegende Körperteile - und einen Mann, dem das rechte Bein fehlt. Durch die Infrarotkamera sieht Bryant, wie das warme Blut aus der Wunde quillt. Bis es durch den Boden abgekühlt wird und die Farbe des Untergrunds annimmt. Eine gefühlte Ewigkeit später hört der Mann schließlich auf, sich zu bewegen.
Mitten im Cyberwar der USA
Es ist Frühjahr 2007, und dies ist Brandon Bryants erster Todesschuss als Drohnenpilot der US-Luftwaffe. Was er da noch nicht ahnt: Sechs Jahre, 6000 Flugstunden und Hunderte Einsätze später wird der heute 30-Jährige 1626 Menschen auf diese Weise getötet haben. Bryant hat nicht mitgezählt - es steht so in seiner Entlassungsurkunde der U. S. Army, die er erhalten hat, als er vor knapp zwei Jahren seinen Dienst als Pilot quittiert hat. Und das, obwohl sein Arbeitgeber ihm einen Bonus von 109.000 Dollar angeboten hat, damit er weitermacht.
Seine Gesundheit war Bryant jedoch wichtiger. Denn obwohl er nie in einem Kampfgebiet war, hat der digitale Krieg sein Leben verändert. Die hochaufgelösten Infrarotbilder der sterbenden Talibankämpfer, Schafhirten, Frauen und Kinder in den Dörfern haben sich tief in sein Gehirn eingebrannt - und verfolgen ihn bis heute.
Tötungsbefehle aus Rammstein?
Etwa 1300 Drohnenpiloten sind bei der US-Luftwaffe angestellt. Ihr Arbeitsplatz ist kein mit Raketen bestückter Kampfjet, sondern ein Container auf einem Luftwaffenstützpunkt irgendwo in einer Wüste in den USA, vollgestopft mit Technik und Bildschirmen. Diese sogenannten Boxen sind auf 17 Grad heruntergekühlt, fensterlos, und ihre Türen dürfen aus Sicherheitsgründen nicht geöffnet werden. Von dort aus steuern die Piloten die "Raubtiere", mit Hellfire-Raketen ausgestattete Predator-Drohnen, die am anderen Ende der Welt in 10.000 Metern Höhe über den Köpfen der Zielpersonen kreisen.
Über ein Chatfenster auf dem Monitor erhalten die Piloten ihre Einsatzbefehle - doch wer ihnen da den Befehl zu töten erteilt, wissen sie nicht. Fakt ist jedoch mittlerweile, dass viele Drohneneinsätze in Pakistan, in Afghanistan und im Jemen über eine US-Kommandozentrale in Ramstein (Deutschland) koordiniert werden.
"Habe ich gerade ein Kind getötet? "
Von dort aus kam vermutlich auch der Befehl zu einem der Einsätze, die Brandon Bryant bis heute nicht vergessen kann. Er steuerte eine Drohne genau über eine kleine Lehmhütte in einem afghanischen Dorf, markierte das Dach der Hütte mit einem Laser. Angeblich war es das Haus eines Topterroristen. Nur Augenblicke, nachdem die Hellfire-Rakete mit Überschallgeschwindigkeit auf ihr Ziel zugerast war, tauchte plötzlich ein Kind neben der Hütte auf. Im nächsten Moment wurde der Monitor von einem grellen Blitz erhellt. "Habe ich gerade ein Kind getötet?", fragte Bryant seinen ihm unbekannten Befehlshaber über den Chat. "Nein. Das war ein Hund", bekam er umgehend als Antwort. Aber welcher Hund hat zwei Beine?
Es sind jedoch nicht nur Momente wie dieser, die Bryant schließlich seinen Dienst quittieren lassen. So paradox es im ersten Moment klingt - trotz der räumlichen Distanz ist es die Nähe zu seinen Opfern, die ihn schließlich krank macht. Denn im Gegensatz zu den Kameraden in den Kampfjets, die nur für Bruchteile von Sekunden über die Köpfe der Menschen hinwegfliegen, beobachtet Bryant teilweise wochenlang seine zukünftigen Opfer und ihren Alltag - in gestochen scharfen Infrarotbildern. Die hochmoderne Kameratechnik ermöglicht es ihm, zuzusehen, wie Kinder Fußball spielen, Frauen auf dem Markt einkaufen, Paare auf den Hausdächern im Sommer Sex haben.
Eine Drohne am Monitor zu steuern, ist weit mehr als nur ein Videospiel
"Ich lernte sie kennen. Bis irgendwer, der höher in der Hierarchie stand, den Befehl zum Abschuss gab." Wie viele unschuldige Zivilisten unter den 1626 getöteten "Feinden" sind, die in seiner Entlassungsurkunde stehen, weiß Bryant nicht.
Am Ende ist es diese Ungewissheit, die Bryant zusammenbrechen lässt. Seine Freundin verlässt ihn, er träumt nur noch in Infrarotbildern, leidet unter starken Kopfschmerzen - bis Ärzte eine Posttraumatische Belastungsstörung bei ihm feststellen. Und das, obwohl der Soldat nie in einem Kampfgebiet war. Zumindest nicht körperlich. Doch die Diagnose der Mediziner zeigt: Eine Drohne am Monitor zu steuern, ist weit mehr als nur ein Videospiel. Es verändert die Psyche eines Menschen. "Uns wird gesagt, es seien saubere Einsätze, alles laufe präzise ab, aber die Wahrheit ist: Nichts ist sauber, es kann nie sauber sein", sagt Bryant.
Vom Drohnen-Soldaten zum Whistleblower
Der Amerikaner ist heute, zwei Jahre nach seinem letzten Einsatz, jedenfalls fest davon überzeugt: "Allen Drohnenpiloten geht es an die Nieren. Denn es ist das echte Leben." Tatsächlich ergab eine Umfrage der U. S. Air Force unter 600 Drohnenpiloten, dass jeder fünfte Depressionen hat.
Von den Kameraden an der Front wird Brandon Bryant für seine Enthüllungen über das Leben der Drohnenpiloten heftig kritisiert. Während ihn viele als Verräter und Lügner beschimpfen, machen sich andere lustig über seine psychischen Probleme: "Vielleicht solltet ihr Anschnallgurte in eurem Container tragen", so ein Kommentar nach Bryants Trauma-Geständnis.
Brandon Bryant selbst hält mittlerweile Vorträge in den USA und Europa über Amerikas Drohnenkrieg. Zudem ist er Mitglied eines Whistleblower-Netzwerks namens Project Red Hand, das Informationen über die wahren Hintergründe von Kriegsverbrechen und Korruption veröffentlicht. Der Ex-Drohnenoperator war vor dem NSA-Bundestagsausschuss Kronzeugge für die tödlichen Folgen der Meta-Datensammlung.
Das Wichtigste für ihn jedoch ist: Auch wenn ihn die Erinnerungen an seine Einsätze immer wieder einholen - er träumt endlich nicht mehr in Infrarot.