Außergewöhnliche Männerberufe im Porträt: Clay-Modelling-Artist bei Mazda
Wer auf der Suche nach außergewöhnlichen Männerberufen ist, der sollte sich die Ton-Modellbauer des japanischen Automobilherstellers Mazda genauer angucken.
Clay Modelling bei Mazda
Mazda ist nach eigenen Angaben von der ultimativen Form von Schönheit besessen – eine Form, die nur von der Kraft und Präzision menschlicher Hände erschaffen werden kann. Nicht die Designer setzen diesen Kreativprozess in Gang, sondern die Modellbauer von Mazda. Das Ergebnis inspiriert dann die hauseigenen Designer zu ersten Skizzen.
Aus dieser Form oder Skulptur der Clay-Modelling-Artists entsteht am Ende Automobildesign.
Um dahin zu kommen und aus künstlerischen Formen letztendlich das Design zu destillieren, wird mit verschiedenen Ideen experimentiert. Im Prozess der Designentwicklung geht es dabei vor allem um den ersten Eindruck: das Gefühl, das bei den allerersten Ideen entsteht und das dann den gesamten Entwicklungsprozess über bewahrt wird, bis das Auto endlich zum Start bereit ist.
Vom Modell zum Design
Nach der ersten Skulptur folgt die Papierskizze der Designer, dann das Tonmodell und schließlich die digitale Erstellung dreidimensionaler Modelle mit Software-Unterstützung.
"In der japanischen Küche hat die Art und Weise, wie man das Dashi (Fischsud, Brühe) zubereitet, einen erheblichen Einfluss darauf, wie das Essen schmeckt", sagt Mazda-Designchef Ikuo Maeda. "Was wir hier tun, um die ultimative Form von Schönheit zu kreieren, ist so ähnlich, wie ein perfektes Dashi zuzubereiten. Wir nutzen diese Form, um über die Rolle jedes einzelnen Modells im Mazda Programm zu entscheiden."
Mit dem Erstellen eines Tonmodells wechselt das Konzept von der zweidimensionalen auf die dreidimensionale Ebene. Es ist der letzte Schritt vor dem Start der Serienproduktion. Was bisher kaum mehr als eine Idee war, wird mit dem Erstellen eines Tonmodells zum Leben erweckt. Nachdem die ursprüngliche Skulptur in eine Designskizze umgewandelt wurde, wird von der 2-D- auf die 3-D-Ebene gewechselt.
Eine Reihe von Tonmodellierern wird gebeten, die Skizze zu interpretieren. Dabei entstehen fünf verschiedene Modelle im Maßstab 1:4, die sich jeweils auf subtile Weise unterscheiden. Aus den besten Elementen zweier Modelle wird schließlich ein finales Modell in Originalgröße erstellt: die Vorlage für die spätere Serienproduktion.
Die Aufgabe des Tonmodellbauers ist es, die Ideen der Designer in ein dreidimensionales Objekt zu übertragen. Im Zuge dieses Prozesses macht das Design einen großen Schritt in Richtung Umsetzung. "Auch wenn wir uns im goldenen Zeitalter der Digitaltechnik befinden, legt Mazda in der Designentwicklung weiterhin viel Wert auf Handarbeit", sagt Modellierer Norio Terauchi. "Das Schöne an der Arbeit mit Ton ist, dass wir intuitiv eine Form kreieren können, die die Herzen der Menschen anspricht. Durch wiederholte leichte Anpassungen entsteht nach und nach eine perfekte Linie. Diese sinnliche Schönheit lässt sich mit digitaler Technologie nur schwer reproduzieren.
Als Tonmodellierer achte ich vor allem auf Lichtreflexionen. Wenn etwas mit der Oberfläche nicht stimmt, gibt es auch Probleme mit den Lichtspiegelungen. Deshalb nehme ich mit einer Aluminiumfolie wieder und wieder Feinabstimmungen am Oberflächen-Finish vor", so Norio Terauchi weiter. "Manchmal lässt sich die Form nicht so umsetzen, wie sich die Designer das vorstellen. Ich mache dann aus meiner Perspektive als Tonmodellierer einen alternativen Vorschlag. Bei Mazda ist das überhaupt nicht ungewöhnlich. Ich kann diese Vorschläge machen, weil ich ständig darüber nachdenke, was das Design zum Ausdruck bringen soll."
Interview mit Andreas Feussner, Head of Clay Modelling Mazda Motor Europe
Andreas Feussner, Jahrgang 1976, verantwortet seit 2016 das Modelling Departement bei Mazda Europa in Oberursel. In seiner Rolle als Head of Modelling arbeitet er eng mit Designern, dem Color & Material Team, PR und dem Team rund um das Product Development zusammen. In unserem Interview erzählt er, was die Leidenschaft am Handwerk ausmacht, warum Holz sein liebstes Material ist und was das mit Nachhaltigkeit zu tun hat.
Männersache: Herr Feussner, was bedeutet gutes Handwerk für Sie?
Andreas Feussner: "Wenn ich erkenne, dass jemand etwas mit Leidenschaft geschaffen hat. Man kann ein Projekt fertigstellen und zufrieden sein mit dem, was man abliefert. Ich persönlich betrachte meine abgeschlossenen Projekte immer ganz genau und analysiere den Prozess, um diesen für zukünftige Aufgaben zu optimieren. Es sind oft keine grundlegenden Dinge, die verbessert werden müssen, aber in 28 Jahren im Beruf machen Kleinigkeiten in der Summe etwas Größeres aus und geben einer Arbeit eine spezielle Note."
Männersache: Sie sind also ein Perfektionist?
Andreas Feussner: "Was mein Handwerk anbelangt, definitiv. Ich habe einen Kollegen, der mich Mr. 1.000 Prozent nennt. Wahrscheinlich deshalb, weil ich mich immer tiefgehend und präzise mit meinen Aufgaben und Projekten auseinandersetze und unentwegt an diesen arbeite, bis die Deadline erreicht ist, auch wenn es theoretisch schon als fertig zu bezeichnen wäre. Wir haben z. B. einmal eine Center-Konsole gefertigt. Diese sollte nur geschliffen werden, nicht lackiert, nicht geölt. Ich habe die Konsole bis zu einem sehr hohen Grad an Körnung geschliffen, bis sie sich sehr samtig anfühlte. Als es zur internen Fahrzeugpräsentation kam, saß unser Designchef aus Japan, Ikuo Maeda, in dem Fahrzeug und strich immer wieder über diese Oberfläche, während ihm die europäischen Designer ihre Gedanken zur Formgebung erklärten. Ich stand daneben und habe mich gefreut, dass er dies so besonders schätzte. Maeda legt sehr großen Wert auf gutes Handwerk."
Männersache: Was sind die größten Herausforderungen im Alltag eines Clay Modellers?
Andreas Feussner: "Manchmal sind die Entwürfe der Designer nicht ganz so einfach realisierbar. Hier ein gutes Beispiel aus der Praxis: Wir haben eine Skulptur aus Holz gefertigt. Die Herausforderung bestand darin, das Holz in einem bestimmten Radius zu biegen, was nicht möglich war, da das Holz zu dick und der Radius zu klein waren. Genau an solchen Stellen müssen Lösungen gefunden werden, die so gut ausgeführt sind, dass hinterher keine Ungereimtheiten in der Umsetzung zu erkennen sind. In diesem Fall konnte eine Lösung gefunden werden, indem ich 66 Lagen Furnier in einer von Hand gefertigten Form verleimte, ohne dass dieser Vorgang abschließend als solcher im Endprodukt erkennbar war. Es sah letztendlich aus wie Massivholz, aus einem Stück gebogen."
Männersache: Wie gehen Sie generell mit Herausforderungen um?
Andreas Feussner: "Ich denke, dass Herausforderungen, egal, ob bei der Arbeit oder im Privaten, das größte Entwicklungspotenzial bergen. Deshalb stelle ich mich allen Herausforderungen, ich laufe nicht vor ihnen weg, da sie einen ohnehin wieder einholen. Daher finde ich es gut, wenn, man sie gleich angeht, ganz gleich, wie schwierig sie erscheinen, und versucht, durch eine offene Herangehensweise eine entsprechende Lösung zu finden."
Männersache: Und woher nehmen Sie die Inspiration für Ihre Lösungen?
Andreas Feussner: "Ganz besonders inspiriert mich die Natur. Ihre immense Kraft, ihre Formen und Farben, das Ursprüngliche, Echte. Beständigkeit und Veränderung in einem. Ich bin sehr gerne draußen, z. B. in den Bergen im Schnee, wenn noch kaum einer um einen ist. Aber auch Menschen, ihr Engagement, ihr Schaffen, ihre Arbeit und die Eigenheiten, die sie darin zurücklassen. Meine Eigenheiten, die sie darin zurücklassen. Meine Frau z. B.: Ihre Art ist immer engagiert, ausdauernd, direkt, komplex, dennoch klar. Dabei besonders liebevoll und empathisch, immer offen für das Wesentliche. Weitere Inspirationsquellen sind Kunst, Architektur und im Besonderen die Musik, mit all ihren Facetten, sowie das klassische und moderne Ballett. Bei Letzterem sind es die präzisen Bewegungen, die mich auf neue Gedanken bringen.
Wir hatten vor einiger Zeit ein Projekt, für das ein Tänzer sich einen Stretch-Stoff überziehen und unterschiedliche Ballettposen einnehmen sollte. Die interessanten Formen, die dabei entstanden, führten zu neuen Blickwinkeln – dies war Teil der Entwicklung unserer Kodo-Design-Philosophie. Wir gehen des Öfteren außergewöhnliche Wege, um Designsprache für uns immer neu zu definieren. Für mich ist es wichtig, positiv und mit offenen Augen durch die Welt zu gehen. Wie beispielsweise in dieser momentan ungewöhnlichen Zeit, bestimmt durch den Covid-19-Virus, in der man die Dinge möglicherweise anders wahrnimmt und auch hinterfragt. Durch die veränderten Umstände finden viele überhaupt erst den Anreiz und die Zeit dafür."
Männersache: Wie gehen Sie an neue Projekte heran?
Andreas Feussner: "In erster Linie ist es wichtig für mich, den Entwurf zu verstehen. Was macht eine Skizze aus, worin liegt die Handschrift des Designers, was möchte er in Formsprache ausgedrückt wissen und umgesetzt haben. Ohne dieses Verständnis ist es nur bedingt möglich, die Emotionen im Modell widerzuspiegeln. Wir beginnen damit, rein skulptural zu arbeiten, weg vom klassischen Fahrzeugdesign, wodurch wir neuer Formsprache Raum geben können. In dieser Phase können wir sehr frei und kreativ arbeiten. Die Herausforderung liegt darin, die daraus gewonnenen Ideen auf ein Fahrzeug zu übertragen. Einer der wichtigsten Schritte des Entstehungsprozesses."
Männersache: Jeder Clay Modeller hat seine eigene Handschrift?
Andreas Feussner: "Ja, definitiv. Man kann sehen, welches Modell von welchem Kollegen modelliert wurde. Wenn man zwei verschiedenen Clay Modellern denselben Designentwurf vorlegt, kommen zwei unterschiedliche Modelle heraus, die zwar das Gleiche ausdrücken, aber individuell interpretiert wurden. Da wir in unserer Arbeit vom Zweidimensionalen ins Dreidimensionale übergehen, haben wir zunächst einmal relativ viel Spielraum. An diesem Punkt im Handwerksprozess lässt sich die persönliche Handschrift des Clay Modellers am besten erkennen, der einen Teil der eigenen Persönlichkeit in das Modell einfließen lässt. Eben diese individuelle Handschrift macht den entscheidenden Unterschied im Gegensatz zu Fahrzeugen aus, die zuvor nicht in Handarbeit hergestellt wurden."
Männersache: Sie sind gelernter Schreiner. Arbeiten Sie am liebsten mit Holz?
Andreas Feussner: "Ja. Das liegt wahrscheinlich daran, dass ich die meiste Erfahrung mit diesem Material gesammelt habe. Seit ich 16 Jahre alt bin, arbeite ich mit Holz. Was ich an diesem Werkstoff besonders mag, ist die Kraft, die darin steckt. Ein solches Werkstück kann mehrere Generationen überdauern, in Gebrauch sein und erfreuen. Das ist ein schönes Gefühl. Ich habe mir selbst vor einigen Jahren einen großen Tisch aus massiver Eiche gebaut. Ein schöner Gedanke, sollte dieser mich eines Tages überleben und dann im Leben meiner Tochter einen Platz finden. Mit all seinen Spuren, seinem Charakter, seiner Geschichte. Zeitlos, nicht temporär. Das liegt mir. Und sollte er dennoch irgendwann als Tisch ausgedient haben, lässt er sich problemlose recyceln, da er aus reinem Holz, ohne Giftstoffe oder Ähnlichem, gefertigt wurde. Eine einfache Form von Nachhaltigkeit. Massives Holz ist in der Anschaffung vielleicht etwas kostenintensiver, aber auch von besonderem Wert."
Männersache: Haben Sie ein Motto oder einen Leitsatz in der Arbeit und im Leben?
Andreas Feussner: "Ich versuche immer, Offenheit, Durchhaltevermögen und vor allem Empathie mitzubringen. Letzteres ist für mich der Schlüssel, besonders im Leben."
Männersache: Herr Feussner, vielen Dank für das Gespräch.
*Wichtiger Hinweis: Auch wenn unsere Headline etwas anderes vermuten lässt, ist Clay Modelling natürlich auch ein Beruf, der der Damenwelt offensteht.
Weitere Informationen zum Clay Modelling bei Mazda erhältst du hier!
Kodo
Kodo oder Soul of Motion beschreibt die spezifische Designsprache von Mazda, die auf der japanischen Kultur der Handwerkskunst fußt. Kodo will Menschen bewegen, wie es sonst nur ein Kunstwerk versteht.
Nach dem Kodo-Verständnis sollen Formen mit Aufrichtigkeit und Akribie durch Menschenhand entstehen, nur dann besitzen sie eine Seele. Einfachheit gilt in Japan als Zeichen für Raffinesse und bei Mazda gehört sie nach eigenen Angaben zur DNA der Marke.
Der Innenraum der Fahrzeuge soll mit einfachen und intuitiven Bedienelementen aufgeräumt anmuten, während außen unkomplizierte und klare Linien die Ästhetik japanischen Designs charakterisieren.