Wie Deutschland sich gegen einen Terroranschlag wappnet
Es ist der Albtraum der deutschen Katastrophenschützer: ein großer Terroranschlag in Deutschland – und zu wenige Ärzte wissen, was zu tun ist, wenn eine große Zahl von Menschen gleichzeitig Kriegsverletzungen erleidet. Ärzte der Bundeswehr wollen das jetzt zusammen mit der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie ändern. Im Interview steht ein Bundeswehr-Arzt Rede und Antwort.
Oberstarzt Professor Dr. Benedikt Friemert kennt die Folgen von Terroranschlägen wie kaum ein Zweiter: Der Chirurg der Bundeswehr hat bereits auf dem Balkan, am Horn von Afrika und am Hindukusch operiert – und warnt seit Jahren davor, dass deutsche Krankenhäuser auf einen großen Anschlag nicht ausreichend vorbereitet sind.
Herr Prof. Friemert, Sie sind Chirurg bei der Bundeswehr. Deutschland hat eines der besten Gesundheitssysteme der Welt. Warum sollte zivilen Ärzten ein Terroranschlag Probleme bereiten?
"Krankenhäuser hierzulande haben kaum mit Wunden zu tun, wie sie ein Bombenanschlag in großer Zahl verursacht. Die medizinischen Abläufe bei einem Selbstmordattentat sind aber gänzlich andere als etwa bei einem großen Unfall."
Was unterscheidet eine Massen karambolage von einem Terroranschlag?
"In beiden Fällen handelt es sich um einen sogenannten MANV, einen Massenanfall von Verletzten. Es laufen aber jeweils ganz andere Programme und Rettungsketten ab. Der wesentliche Unterschied zwischen Terror und Unfall liegt bei den Wundarten: Bei Verkehrsunfällen haben wir es vor allem mit sogenannten stumpfen Verletzungen zu tun, die den Körper der Verletzten nicht eröffnen und dementsprechend weniger bluten.
Bei Explosionen, Schüssen oder auch Messerattacken sprechen wir dagegen von penetrierenden und perforierenden Verletzungen. Hier ist der Blutverlust sehr schnell sehr groß, diese Opfer haben wenig Zeit. Bei einem Verkehrsunfall kann man Verletzte durchaus noch auf entferntere und vielleicht auch spezialisiertere Kliniken verteilen.
Bei einem Terrorangriff muss das nächste Krankenhaus her. Ein Notarzt hat kaum eine Chance, in Bauch oder Becken hineinblutende Wunden zu schließen. Das geht nur an den Extremitäten wie Armen und Beinen durch Abdrücken oder Abbinden, bei allem anderen muss ein Chirurg ran.
Und es gibt einen organisatorischen Unterschied: Bei einer Massenkarambolage haben die Rettungsdienste die Oberhand, die Polizei arbeitet eher im Hintergrund, sie sperrt vielleicht die Unfallstelle ab. Kommt es zur Terrorlage, ist es dagegen umgekehrt. Dann übernimmt die Polizei die komplette Verantwortung und Koordination des Rettungseinsatzes. Uns sind dann erst einmal die Hände gebunden."
Was bedeutet das konkret?
"Nehmen wir als Beispiel die Terroranschläge vom 13. November 2015 in Paris. Der überfallene Konzertsaal „Bataclan“ war für Stunden gesperrt, da konnte keiner von den Rettungskräften rein, obwohl klar war, dass da Menschen sterben und dringend Hilfe benötigen.
Wie Deutschland sich gegen einen Terroranschlag wappnet
Doch solange noch Terroristen frei herumlaufen oder vielleicht weitere Bomben detonieren können, geht der Eigenschutz vor. Das ist natürlich auch eine große psychische Belastung für Sanitäter und Ärzte, die quasi aus nächster Distanz das Geschehen untätig mit ansehen müssen.
Deswegen haben die Spezialkräfte der Polizei – die ja im Gegensatz zu Sanitätern mit Schutzwesten und Helmen ausgerüstet sind – auch alle eine Ausbildung zur Erstversorgung von Verwundeten. Sie können mit einfachen Mitteln einenHilfsbedürftigen bergen und in Sicherheit bringen."
Chaos am Tatort, Rauch, Zer störung, Blut. Was tut man als Erstes?
"Sobald per Funk eine Freigabe der Polizeileitstelle kommt, ist das Wichtigste ein Überblick, wo überhaupt Opfer sind und wer zuerst Hilfe benötigt. Zum Beispiel geht es laut schreienden Personen in der Regel den Umständen nach entsprechend gut. 'Wer hört mich? Alle mal den Arm heben!'
Das wäre eine typische Aufforderung eines Ersthelfers an eine Reihe von Verwundeten – er würde dann aber erst einmal die Regungslosen betreuen, die den Arm nicht heben. Sollten sie noch leben, brauchen sie zuerst Hilfe. Die Primärsichtung sollte möglichst parallel erfolgen und nicht mehr als ein bis zwei Minuten pro Patient dauern.
Rettungskräfte beginnen dann mit ganz einfachen Mitteln, die Personen zu sichern, sie verhindern zum Beispiel mit einer Intubation das Ersticken. Die Patienten werden dann in einen teilsicheren Bereich gebracht, das kann ein Laden sein. Von dort wird die Weiterbehandlung organisiert.
In der Regel müssen Schwerverletzte in das nächste medizinische Zentrum, denn Terroropfer sind wiegesagt kaum transportfähig. Das setzt diese Klinik und einen Entscheider wie mich als Chirurg von jetzt auf gleich unter enormen Stress, denn wie beim Anschlag auf den Boston-Marathon 2013 kommen Patienten erfahrungsgemäß nicht nur per Krankenwagen: Zusätzlich bringen Umstehende Verletzte auf eigene Faust ins Krankenhaus.
Und Leute, die noch laufen können, begeben sich gleich selbst in die nächste Notaufnahme."
Sie sprechen von Taktischer Chirurgie, was verbirgt sich hinter dem Begriff?
"Das kommt tatsächlich aus dem Militär: Wir sprechen von taktischen und strategischen Maßnahmen. Taktik ist die Lehre vom Gefecht – aber wir wollen ja die Schlacht gewinnen, die aus mehreren Gefechten besteht. Und dafür braucht es eine Strategie.
Wenn Sie so wollen, ist ein Schwerverletzter unser Gefecht und der MANV die Schlacht. Terroropfer sind oft polytraumatisiert, das heißt sie leiden gleichzeitig an verschiedenen Verletzungen. Für die entwerfen wir eine Taktik: erst der Schädelbruch oder erst die Verletzung im Bauchraum?
Wie viele Operationen verträgt der Körper noch, bevor er auf die Intensivstation muss? Ist er stabil, oder verschlechtert sich sein Zustand? Die eigentlichen Maßnahmen sind dann 'nur' chirurgisches Prozedere, ein Knochenbruch wird eben behandelt wie ein Knochenbruch.
Die Strategie bei einem MANV, die erarbeiten Experten lange vorher am grünen Tisch. Da gibt es Pläne für MANVs mit 50, 100 oder 500 Verletzten. Der Flughafen Frankfurt arbeitet sogar mit einem MANV-1000. Wir von der Bundeswehr haben über unsere Einsätze viel Erfahrung, wie man mit wenigen Mitteln möglichst viele Patienten behandelt. Das entspricht der Lage bei einem Terrorattentat."
Inwieweit sind Ihre Erfahrungen aus dem Feld denn auf die Infrastruktur in Deutschland übertragbar?
"Die Entscheidungsabläufe sind prinzipiell die gleichen. Während eines sechswöchigen Einsatzes in Afghanistan mussten wir einmal fünf Verletzte gleichzeitig operieren. Und da geht es eben darum, begrenzte Ressourcen schnell und sinnvoll aufzuteilen.
Wir haben etwa 40 bis 50 Personen vor Ort, darunter einen Chirurgen, einen Anästhesisten, zwei Assistenzärzte, Techniker und Pfleger, zwei Operationssäle und einen Schockraum. Die Ärzte haben sich in zwei Teams jeweils im Wechsel um die Patienten gekümmert und je nach deren Zustand flexibel die Prioritäten angepasst. In solchen Fällen muss dann eben auch mal der Zahnarzt ran und fachfremde Aufgaben übernehmen."
Sie haben gerade den ersten Kurs für Terror-Chirurgie in Deutschland konzipiert. Was bringen Sie den Leuten darin bei?
"Das Notfallrettungssystem in Deutschland nimmt im weltweiten Vergleich eine Spitzenposition ein. Ein Terror-MANV ist aber eine ziemlich neue Bedrohung. Unter anderem simulieren wir in einem Planspiel ein Krankenhaus. Darin sollen medizinische Führungskräfte in einem realistischen Terrorszenario möglichst vielen Opfern das Leben retten – und dennoch ein gutes Ergebnis erzielen.
Das heißt, trotz Mangel an Zeit und Ressourcen zum Beispiel möglichst auf Amputationen verzichten. Vor eineinhalb Jahren mussten wir die Notwendigkeit solcher Kurse noch erklären, nach den jüngsten Anschlägen in Europa hat sich das gewandelt.
Das Interesse vonseiten der Ärzte ist sogar so groß, dass wir momentan weitere Trainer ausbilden, um die Nachfrage überhaupt bewältigen zu können. Wir wollen vor allem eines vermitteln: Es gibt in einem solchen Fall keine Musterlösungen mehr. Seien Sie flexibel, verlassen Sie Routinen und reagieren Sie immer wieder neu auf veränderte Bedingungen."