So entkommst du aus einem brennenden Flugzeug
Es ist der absolute Albtraum eines jeden Passagiers: Umgeben von Treibstoff eingeschlossen zu sein in einer engen Kabine – und an Bord bricht ein Feuer aus. Die Angst ist berechtigt: Ein Urlaubsflieger brennt aufgrund seiner Konstruktion schneller und tödlicher als jedes Hochhaus. Flugzeugbrände sind dermaßen tückisch, dass für Feuerwehren eigene Regeln gelten – und man diese Brände in Nordengland regelrecht züchtet, um den Kampf gegen sie optimal zu trainieren …
Der Rumpf des Jumbo Jets ist glühend heiß: Flammen züngeln aus den Gepäckfächern über den Passagiersitzen. Dichter Rauch quillt durch den engen Kabinengang, durch den sich drei mit Schlauch, Helm und Atemschutzmasken ausgerüstete Männer quetschen. Sie pumpen weiß schäumendes Löschmittel punktgenau auf den Brandherd, tragen Verletzte nach draußen, geben Informationen an die Kollegen. Genau 158 Sekunden zuvor saßen die gleichen Männer noch im T-Shirt beim Mittagessen …
Todelfalle brennendes Flugzeug
Dieses Mal ist das Horrorszenario nur eine Übung am International Fire Training Center (IFTC) im nordenglischen Teesside. Doch der Hintergrund des Trainings ist bitterernst: Erst 2016 starb ein Feuerwehrmann in Dubai bei der Explosion eines Tanks, etwa zehn Minuten nachdem die Emirates-Boeing B777 beim Landen in Brand geraten war. Die 282 Passagiere hatten das Flugzeug bereits über Notrutschen verlassen – Szenen aus der verrauchten Kabine zeigen aber, wie knapp die Insassen einer Katastrophe entgehen.
"Gebäude brennen den ganzen Tag. Flugzeuge dagegen bestehen aus Plastik plus Elektronik und Metall. In 90 Sekunden beginnen sie zu schmelzen. Deswegen musst du vorher da sein", sagt Iain Foster-Todd vom IFTC. Egal wann, an 365 Tagen im Jahr, egal auf welchem Großflughafen: Tönt der Alarm aus dem sogenannten Crash Horn, rollt die Eingreiftruppe 30 Sekunden darauf zum Einsatzort. Und spätestens nach weiteren 150 Sekunden kommt sie dort an – auch am weitesten entfernten Punkt eines mehrere Quadratkilometer großen Areals. Schafft sie es bei einem Test nicht, erlischt sofort die Betriebserlaubnis des Flughafens, und der Flugverkehr müsste komplett eingestellt werden.
"Disneyland für Fire Fighters"
Flugzeuginsassen sind bei Feuer an Bord auf schnelle Hilfe von außen angewiesen, der Pilot wird sofort den nächsten verfügbaren Flughafen ansteuern – doch schon allein das Sinken aus elf Kilometern Höhe dauert mindesten fünf Minuten. Zehn Minuten kommen für das Landen hinzu, wenn sich das Flugzeug nicht gerade über dem Ozean befindet. Einmal am Boden, steht die sofortige Evakuierung an erster Stelle. Jedes Verkehrsflugzeug auf der Welt muss in 90 Sekunden komplett räumbar sein – und das selbst wenn nur die Hälfte aller eingebauten Notausgänge offen sind. Bei Rauch und giftigen Dämpfen sollten sich Passagiere möglichst nahe am Boden (beste Sicht und Luftqualität) entlang der Notfallmarkierung zum Ausgang bewegen. Jede Tür lässt sich gut sichtbar von Hand entriegeln, der Mechanismus bläst gleichzeitig die Notrutsche außen an der Bordwand auf – sie führt in die Hände der Rettungskräfte.
Foster-Todd und seine rund 100 Kollegen trainieren pro Jahr etwa 10 000 Feuerwehrleute aus der ganzen Welt. Diese sollen die vielleicht entscheidende Sekunde gewinnen, die verhindert, dass aus einem Unglück eine Katastrophe wird. In welchem Winkel entfaltet der Löschmittelstrahl auf eine brennende Turbine seine größte Wirkung? Wo erreicht man kritische Stellen, die einen Übergriff des Feuers verhindern?
"Das hier ist Disneyland für Fire Fighters", sagt Lee Goupillot, Tutor am IFTC: eine Armada von Flugzeugen und Hubschraubern unterschiedlichster Art, die das IFTC auf einem 80 000 Quadratmeter großen Flugfeld regelmäßig abfackelt. Neben verschiedenen Verkehrsflugzeugen stehen auch ein Tornado-Kampfjet und Militär-Helikopter im Hangar, selbst NATO-Verbände trainieren hier.
Der betäubende Lärm einer ausbrennenden Turbine, die erstickende Hitze der Flammen, undurchdringliche Wände aus schwarzem Rauch und beißender Ölgeruch gehören zum Alltag in der Hölle von Teesside: Sie soll die Kämpfer unter echten Stress setzen. Die Flugzeuge lodern zwar nur dank zahlloser integrierter Gasbrenner, aber exakt so wie ein richtiger Brand – und sie lassen sich durch eine spezielle Sensorik wie ihre realen Gegenstücke auch nur mit der richtigen Technik löschen. Ein solches Erlebnis gibt Sicherheit: Für das eine Mittagessen an der Heimatbasis, das plötzlich zu einem Rendezvous mit einer echten Flammenhölle wird …
Wie schützt man 100.000 Menschen?
Flughäfen gleichen Großstädten im Miniaturformat: Der von Frankfurt ist ein eigener Stadtbezirk, in dem sich bis zu 100.000 Menschen auf engstem Raum drängen. Mehr als 330 Feuerwehrleute, verteilt auf vier Wachen, reagieren auf durchschnittlich 15 Alarme pro Tag, unter anderem von 55.000 automatischen Brandmeldern. Sind die Wachen, zum Beispiel durch eine Grippewelle, unterbesetzt, muss der Flugbetrieb sofort eingeschränkt werden. Im Extremfall erlischt die Betriebserlaubnis des Flughafens. Das passiert auch, wenn die Feuerwehren bei den täglichen Trainings Einsatzzeiten oder internationale Vorgaben nicht einhalten.
Zum Beispiel müssen pro Landebahn 32.200 Liter Wasser, 1.500 Liter Schaummittel und 450 Kilogramm Pulver ständig verfügbar sein. Daneben ist die Feuerwehr oftmals Ersthelfer der bis zu 50.000 Patienten pro Jahr in der Frankfurter Flughafenklinik und sichert Unfallstellen: Zwei bis drei Mal pro Tag kollidieren Flugzeuge mit Vögeln oder rangieren mit heißgelaufener Bremse. Nebenbei halten sich die Kollegen auf dem neuesten Stand: Wo wird gerade gebaut? Sind die 2.500 Hydranten davon beeinflusst? Ist das 185.000-Tonnen-Kerosin-Tanklager inklusive 50 Kilometer unterirdischer Pipelines gefährdet? Eine Katastrophe ist stets nur einen Moment der Unachtsamkeit entfernt …