Experteninterview: Darum gehen Männer anders mit einer Krebs-Erkrankung um als Frauen
Männer neigen dazu, sich bei einer Krebserkrankung zurückzuziehen – häufig mit fatalen Folgen. Weshalb das so ist, was dagegen hilft und warum Unterstützung so wichtig ist, erklärt der Psychoonkologe Carsten Witte im Interview.
Am 3. November ist Weltmännertag, ein Aktionstag zur Männergesundheit. Außerdem steht der ganze November erneut als Movember im Zeichen der Männergesundheit.
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Psychoonkologe Carsten Witte spricht im Interview unter anderem über den unterschiedlichen Umgang bei Frau und Mann hinsichtlich einer Krebserkrankung.
Carsten Witte: "Nur zusammen können wir das Tier erlegen"
Herr Witte, gehen Männer und Frauen wirklich unterschiedlich mit einer Krebserkrankung um?
Carsten Witte: Ja, das sehe ich in meiner täglichen Arbeit tatsächlich. Männer brauchen nach meiner Erfahrung beispielsweise eine andere Ansprache.
Warum ist das so?
Männer sehen ihre Krankheit häufig als Schwäche und fühlen sich – gerade bei Prostatakrebs – in ihrer Männlichkeit bedroht. Es ist immer noch so, dass Männer als stark gelten wollen und daran orientiere ich mich auch. Ich betone die Stärken meiner Patienten und versuche ihnen zu helfen, dass sie aus der mentalen Höhle, in die sie sich zurückgezogen haben, wieder rauskommen. Viele wissen gar nicht, wie viel Kraft sie eigentlich haben, obwohl sie sich kraftlos, traurig und niedergeschlagen fühlen.
Ist es denn gefährlich, sich bei einer Krankheit zurückzuziehen?
Ja. Das fängt in der Behandlungsphase an. Da muss der Patient in gewissem Sinn funktionieren. Aber auch mit dem Abschluss der unmittelbaren Therapie, wenn also der Krebs erstmal verschwunden ist, spielt es noch eine große Rolle, ob ich mich bewusst und aktiv mit meiner Krankheit und meiner geistigen Verfassung auseinandersetze. Sonst können beispielsweise Posttraumatische Belastungsstörungen die Folge sein. Um das rechtzeitig zu erkennen und vorzubeugen, helfen persönliche Kontakte aber auch Apps wie etwa der digitale Krebsassistent Mika.
Was kann noch helfen?
Vorbilder sind für Männer offenbar sehr wichtig. Männer, die anderen Männern zeigen, wie man offen mit seiner Erkrankung umgehen kann und wie gut es tun kann, sich auszutauschen, soziale Unterstützung zu erhalten – zum Beispiel in Selbsthilfegruppen. Da lernen Männer von anderen, dass der Zusammenhalt oft entscheidend ist. Das ist auch etwas, das quasi evolutionär verankert zu sein scheint. Mit dem Gedanken, zusammen schaffen wir das, zusammen können wir dieses Tier erlegen, tun sich Männer leichter, Hilfe anzunehmen – das ist meine Erfahrung. Da kommen auch die Medien ins Spiel. Je mehr darüber gesprochen und geschrieben wird, desto leichter fällt es Männern, Hilfsangebote und Beratung wahrzunehmen.
Trotzdem landen nur wenige Männer in den entsprechenden Selbsthilfegruppen. Gibt es noch andere Möglichkeiten zur Selbsthilfe?
Da können digitale Anwendungen in der Onkologie oder bei anderen Erkrankungen eine Lücke schließen. Sie ersetzen zwar nicht den Kontakt zu anderen Betroffenen oder eine psychologische Betreuung, aber sie können vielen Patienten sehr helfen. Sport und Ernährung sind selbstverständlich auch entscheidend für die körperliche und die seelische Verfassung.
Empfehlen Sie Patienten konkret bestimmte Apps?
Ja. Mit dem schon angesprochenen Krebsassistenten Mika kann man sich sehr selbstbestimmt in einem geschützten Raum, wann immer man will, mit seiner Erkrankung auseinandersetzen. Das fördert die Lebensqualität.
Das sagt ein Betroffener:
Dirk Rohde, hauptberuflich Polizist in Köln, erkrankte 2015 schwer an Krebs. Nach der „Schockdiagnose“ zog er sich zurück, mied soziale Kontakte und verpasste sogar die Feier zum runden Geburtstag seines besten Freundes. Nachdem er die Krankheit überstanden hat, konnte er sich nach und nach wieder öffnen und engagiert sich heute in der Krebshilfe.
Er ist Blogger und hat eine Selbsthilfegruppe gegründet. Wie unterschiedlich Männer und Frauen mit der Krankheit umgehen, beobachtet er beinahe täglich. "Unter meinen Blog-Lesern sind beispielsweise nur 20 Prozent Männer. Frauen sind wesentlich offener und kommunikativer, wenn es um ihre Erkrankung geht. Dabei sind gerade die seelischen Tiefs und Belastungen etwas, das sich am besten durch Kontakt mit anderen Betroffenen und Menschen, denen man vertraut, bewältigen lässt."
Viele Männer tun sich damit allerdings offenkundig schwer. Was Dirk Rohde dann empfiehlt: "Unbedingt Hilfe suchen. Das kann auch eine digitale Gesundheitsanwendung sein. Die gab es zu der Zeit meiner Erkrankung leider noch nicht. Sie kann aber eine sehr gute Unterstützung sein."
App-Check: Was ist ein digitaler Krebsassistent?
Die Krebs-App Mika begleitet Betroffene während und nach einer Krebstherapie. Sie trägt dazu bei, die seelischen und körperlichen Folgen der Krankheit besser zu bewältigen. Dabei helfen regelmäßige Symptom Check-ups, fundierte Informationen zu dem individuellen Krankheitsbild und Anleitungen zu Bewegungs- und Entspannungsübungen.
Die App wurde in enger Zusammenarbeit mit führenden Onkolog:innen, Psychoonkolog:innen und Krebsforscher:innen an der Charité, dem Uniklinikum Leipzig und dem NCT Heidelberg entwickelt. Mika ist die erste Onkologie-App für alle Krebsarten, die vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in das Verzeichnis der erstattungsfähigen Digitalen Gesundheitsanwendungen aufgenommen wurde.
Eine DiGA, häufig auch “App auf Rezept” genannt, kann laut Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG) von Ärzt:innen und Psychotherapeut:innen per Rezept verordnet werden. Interessierte können Mika zehn Tage lang auch ohne Rezept kostenlos testen.
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