Konstantinische Schenkung: Wie man sich ein Weltreich erschwindelt
Rufmord, Propaganda, Verleumdung: Immer wenn Mächtige ihre Ziele erreichen wollen, ist die Wahrheit das erste Opfer. Oft werden diese Lügenschnell enttarnt. Doch es gibt auch welche, die bleiben Jahrhunderte bestehen – und verändern den Lauf der Welt, so auch die sogenannte
"Konstantinischen Schenkung".
Christentum als Weltreligion
Es ist mitten in der Nacht, als Silvester, der Bischof von Rom, in das Schlafgemach des Kaisers geleitet wird. Konstantin, der Herrscher des Römischen Reichs, hat sich schon sehr lange nicht mehr in der Öffentlichkeit sehen lassen. Als er sich ins Licht dreht, weiß Silvester, warum der Kaiser sich versteckt hat: Rote Flecken bedecken Gesicht und Hände. Die Lepra ist noch in einem frühen Stadium.
Konstantin erhebt sich, geht auf Silvester zu. "Heute Nacht erschien mir Euer Gott im Traum", sagt der Kaiser. "Er sagte, dass Ihr meine Krankheit heilen könnt." Konstantin tritt noch näher heran: "Heilt mich, und das Christentum soll über die Welt herrschen." Diese Geschichte klingt nach einem großen Gründungsmythos – ist aber eine Lüge, die von folgender Frage ablenken soll:
Wie beschaffte sich die Kirche ihre weltliche Macht?
Der Reichtum und die Macht der katholischen Kirche beruhen in erster Linie tatsächlich auf einem Dokument, in dem die oben beschriebenen Ereignisse aus dem Jahr 317 festgehalten sind. Aus dieser "Konstantinischen Schenkung" geht nicht nur hervor, dass der Kaiser zum Christentum übertritt und tatsächlich geheilt wird. Sondern zum Dank schenkt Konstantin der Kirche auch Ländereien und bestimmt den Sitz des römischen Bischofs zum führenden Zentrum des Christentums.
Nur: Das Dokument ist eine Fälschung. Bis heute ist nicht klar, ob das Treffen zwischen Konstantin und Silvester überhaupt stattgefunden hat. Tatsache ist, dass die katholische Kirche in den folgenden Jahrhunderten wächst und einflussreicher wird, bis im 8. Jahrhundert der Rechtsanspruch der Kirche infrage gestellt wird.
Die Geburtsstunde des Vatikanstaats
Daraufhin legt der Papst die Schenkungsurkunde des römischen Kaisers vor. Sie ist für ihn das Mittel, um seinen Machtanspruch zu untermauern: Der Kirche gehören offiziell weite Teile Italiens, sie sind ihr Grundbesitz, sie hat politisches Mitspracherecht und unterhält sogar eigene Truppen, mit denen sie blutige Kriege führt. Es ist nichts Geringeres als die Geburtsstunde des Vatikanstaats.
1433 kommen erste Zweifel an der Echtheit der Konstantinischen Schenkung auf. Der Grund: Im Dokument wird die Stadt Konstantinopel erwähnt, die allerdings zu Lebzeiten Kaiser Konstantins noch Byzanz hieß. Noch bis weit in das 19. Jahrhundert hinein weist Rom alle Anschuldigungen zurück und besteht auf der Echtheit des Dokuments.