Höhenrauschen

Die kürzlich renovierte Grialetsch-Hütte SAC liegt umringt von markanten Berggipfeln im Backcountry zwischen Davos, Flüelapass und Unterengadin. Sie ist der perfekte Ausgangspunkt für eine Einsteiger-Skihochtour auf den Piz Grialetsch.

Skihochtour
Der Aufstieg zum Piz Grialetsch. Foto: Martin Bissig

Der Autor Franz Thomas Balmer aus Davos war im Frühjahr auf Skihochtour in der Schweiz. Hier kommt sein Bericht:

Manchmal im Leben ist es Zeit, etwas Neues zu wagen

Nach einigen Skitouren reizte mich schon lange das Abenteuer einer Skihochtour. Früher oder später will man einfach einmal höher hinaus. Und so bin ich mehr als gespannt, dass meine Touren-Kollegin Franziska die gleichen Pläne hat.

Bei strahlender Frühlingssonne rollt der Zug nach Davos, die höchstgelegene Stadt Europas (1560 m). Der Bus bringt uns aus dem Zentrum ins Seitental Dischma, nur wenige Minuten Richtung Südost, dann steigen Fränzi und ich bei Teufi aus, einem alten Walserhaus und Restaurant, das allein auf weiter Flur Wind und Wetter trotzt. „Herzlich willkommen“, sagt Adrian Räz, unser einheimischer Bergführer. Mit seinem Bart wäre der Mittvierziger auch glatt als Holzfäller im fernen Alaska durchgegangen. Ein Blick auf seine kräftigen Hände verrät, dass diese schon oft Felskontakt hatten. Seine ruhige Art weckt in mir sofort Vertrauen.

Kurzer Materialcheck und wir ziehen los in der Talsohle bergauf Richtung Südosten zur Grialetsch-Hütte – leichtes Gelände, aber 850 Höhenmeter wollen an diesem Tag trotzdem bewältigt sein. Schon nach den ersten Metern läuft mir der Schweiß in dicken Tropfen von der Stirn. Kein Wunder: Anders als bei einer gewöhnlichen Skitour tragen wir in unseren Rucksäcken auch eine komplette Gletscherausrüstung mit Steigeisen, Klettergurt, Seil und Eispickel. Langsam, aber sicher bahnen wir unseren Weg hinauf durch den knietiefen Neuschnee – und sind dabei auf historischen Spuren. Denn der Weiler Dürrboden, bei dem wir gerade ankommen, war früher eine wichtige Station auf der Säumerroute von Davos über den Scalettapass ins Engadin und weiter bis ins italienische Veltlin. Über Jahrhunderte hinweg wurde auf dieser Route Salz aus Tirol und Venedig sowie Wein aus dem Veltlin importiert. Wir halten an, kurze Verschnaufpause. Adrian zeigt mit seinem Stock nach oben. Im Sonnenlicht sehen wir sie leuchten, die Flanken des Grialetsch.

Skihochtour
850 Höhenmeter wollen an diesem Tag bewältigt werden. Foto: Martin Bissig

Die Route führt uns über den Talboden bis zur Furggabach-Einmündung und durch die Mulde gegen Osten hinauf via Furggasee zur Fuorcla da Grialetsch auf 2536 Meter. Die Zivilisation scheint plötzlich ganz weit weg zu sein. Das Ziel haben wir zwar noch nicht erreicht, doch ich fühle mich jetzt schon angekommen. Nur das meditative Klick-klack der Bindung ertönt bei jedem Schritt. Einsam ziehen wir unsere Spur hinauf durch das kupierte Gelände. Ich fühle mich ein bisschen wie der Kult-Aussteiger Chris McCandless aus dem Buch-Klassiker „Into the Wild“. Meine Gedanken kreisen um seinen Satz: „Es gibt keine größere Freude, als einen endlosen Horizont zu haben“, als wir an schroffen Felsformationen irgendwo im Nirgendwo vorbeilaufen. Wie wahr.

Plötzlich aus der Ferne taucht sie auf, die Grialetsch-Hütte. Das neue Dach mit den Solarzellen schimmert in der Frühlingssonne. Im Sommer 2021 wurde die SAC-Hütte umfassend saniert und um einen Holzbau erweitert. Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Mit dem neuen Kapitel der Hütte folgte auch ein neues Hüttenwartpaar. Nach über 34 Jahren hat Hanspeter Reiss das Zepter an Werner und Tanja Schweizer weitergegeben. Die zwei empfangen uns herzlich bei der Ankunft: „Schön, dass ihr gut angekommen seid. Ihr seid ganz verschwitzt. Setzt euch doch da hinten an den Tisch. Ich habe was für euch“, sagt Werner und verschwindet in der kleinen Küchenhütte. Aber erstmal Schuhe ausziehen und die Socken an der Sonne trocknen lassen. Werner kommt zurück und bringt uns eine kalte Platte mit Fleisch, Käse, Brot und ein Glas seines selbstgemachten Holundersirups. Göttlich. Unsere Muskeln entspannen, wir lassen den Blick streifen in die Bergwelt. Für einen Moment scheint die Zeit stehenzubleiben. Bergzeit von ihrer schönsten Seite.

Grialetsch-Hütte
Entspannte Brotzeit auf der Terrasse der Grialetsch-Hütte. Foto: Martin Bissig

Während die Terrasse der Grialetsch-Hütte langsam schattig wird, erstrahlt der Piz Sarsura Pitschen vor uns noch immer hell in der Nachmittagssonne. Es wird kühl, wir wechseln nach drinnen. Vor dem Eingang schlüpfen wir in unsere Hüttenschuhe, die fein säuberlich im Regal beim Eingang nach Größen geordnet sind. Ordnung muss sein, auch auf einer abgelegenen Berghütte. 

Status checken, Insta-Story posten oder ein neues Profilbild hochladen? Fehlanzeige. Das Handy zeigt keinen einzigen Strich an – Funkloch. Aber eigentlich auch gar nicht so schlimm. Schnell verschwindet das Gerät wieder in der Hosentasche. Wir holen uns ein Bier und setzen uns zu den anderen Tourengängern. Die Stimmung ähnelt jener von Backpacker-Hostels in Zeiten vor Social Media, als man sich mit Gleichgesinnten an der Bar getroffen hat. Einfach und unkompliziert. Nostalgie kommt auf. Einer erzählt, was sie heute versucht hatten: „Wir wollten heute Morgen früh auch auf den Piz Grialetsch. Die ersten Höhenmeter meisterten wir in einem guten Tempo. Danach wurde überraschenderweise der Schnee leider immer körniger. Rutschgefahr. Wir drehten daher lieber um“. Kein gutes Omen, schießt es mir durch den Kopf. Aber wer weiß, vielleicht haben wir morgen mehr Glück. Die Bedingungen im Frühling wechseln stetig. Frühzeitig gehen wir nach dem Abendessen ins Bett. Ein letzter Blick aus dem Fenster: Das Abendlicht verfärbt die Berggipfel violett. Das wird schon, denke ich mir, und schließe meine müden Augen.

Mit Pickel und Steigeisen geht es zum Piz Grialetsch.
Mit Pickel und Steigeisen geht es zum Piz Grialetsch. Foto: Martin Bissig

Der Wecker klingelt früh: 5:10 Uhr. Nach einem Hüttenkaffee setzen wir die Stirnlampen auf und verlassen als erste Gruppe die Hütte. Behutsam steigen wir den Hügel hoch. Der Weg führt uns zum Grialetschgletscher. Der erste Hauch einer Hochtour wird jetzt spürbar: Adrian erklärt uns, wie man einen 8er-Knoten bindet und seilt uns an. Sicher ist sicher. Es geht direkt und weiterhin steil zu einem kleinen Übergang unmittelbar unterhalb des Piz Grialetsch. Den Gipfel umrundet wir um 90 Grad nach Norden, steigen auf eine Schulter hoch und deponieren dort unsere Skier. Mit Pickel und Steigeisen kraxeln wir durch die abschüssige Südflanke des Piz Grialetsch. Klack. Klack. Die Steigeisen halten zuverlässig im Schnee, wir gewinnen schrittweise an Höhe. Die Route führt nun über einen schmalen Grat. Nicht weit, geschätzt eine Seillänge beim Klettern. Jetzt nur nicht nach unten schauen. Ich spüre, wie meine Hände feucht werden. Meine Finger klammern sich fest an den Eispickel. Einatmen. Vorsichtig setzte ich einen Fuss vor den anderen. Ausatmen. Nur noch wenige Meter. Geschafft! Wir stehen auf dem Gipfel auf 3131 m ü. M. Langsam drehe ich meinen Kopf zur Seite – was für eine Aussicht: im Norden der steile Scalettagletscher, im Osten der Vadret da Grialetsch und im Süden der Vadret Vallorgia. Herzklopfen. Es sind wohl genau solche Momente im Leben, in denen das Glück zum Greifen nah ist.

Und es bleibt uns auch später bei der Abfahrt treu: Die Verhältnisse sind großartig und der Schnee ist größtenteils noch unverspurt. Das lassen wir uns nicht zweimal sagen. Schnell Abfellen und los geht’s. Der Schnee fühlt sich noch besser an als erhofft – oben Pulver und weiter unten Sulz. Eine regelrechte Traumabfahrt bis zurück nach Dürrboden. Von hier aus ist wieder Muskelkraft gefragt. In gekonnter Dario-Cologna-Manier stöckeln wir uns mit den Skiern zurück über die Fläche bis nach Teufi. Keine einfache Angelegenheit. Die Frühlingssonne brennt erbarmungslos nieder, der Schweiss rinnt. Wir stellen wir uns vor, wie so eine Abkühlung im Fluss neben uns guttun würde. Schon verlockend. Nach rund 40 Minuten kommen wir wieder in Teufi an. Dort, wo wir unser Abenteuer am Tag zuvor gestartet haben. Was bleibt, ist die Erinnerung ans Gipfelglück, an den Weg durch einsame Landschaften, die unvergessliche Hüttenstimmung und die berauschende Abfahrt am Schluss. Der Zauber des Skiskihochtourens.

GUT ZU WISSEN

 Etappe 1: Teufi – Grialetschhütte SAC

• Schwierigkeit: leichte Skitour

• Höhenmeter: 850 Hm

• Dauer: 4 h

Die Tour startet im Seitental Dischma bei Teufi (1700 m) und führt auf der geräumten Strasse taleinwärts bis zum Parkplatz kurz nach „Gulerigen Hus“. Weiter geht’s auf dem Alpweg bis Dürrboden auf 2004 m ü. M. Danach über den Talboden bis zur Furggabach-Einmündung. Durch die Mulde gegen Osten hinauf via Furggasee zur Fuorcla da Grialetsch (2536 m) und nach Südost über kupiertes, felsiges Gelände bis zur Hütte.

Hinweis: Bei Nebel ist der Weg durch das unübersichtliche Gelände nicht einfach zu finden.

Etappe 2: Grialetschhütte SAC – Piz Grialetsch – Dürrboden – Teufi

• Schwierigkeit: sehr schwierige Skitour

• Höhenmeter: 600 Hm

• Dauer: 3 h

Von der Grialetschhütte (2540 m) führt die Route Richtung Chilbiritzenspitze auf eine Moränenterrasse auf die Schulter (3020 m) südlich des Piz Grialetsch hinauf. Weiter über die Südflanke so hoch wie möglich mit Skieren. Skidepot. Zu Fuss hinauf bis zum Gipfel des Piz Grialetsch (3130 m). Lange, lohnenswerte Abfahrt zurück ins Dischma. Nordseitig, mehrere Varianten möglich je nach Schneeverhältnissen.

Hinweis: Diese Route führt über einen Gletscher, deshalb ist zur Sicherheit neben der Skitourenausrüstung hier auch eine Gletscherausrüstung nötig.

Anreise

Gut erreichbar mit öffentlichen Verkehrsmitteln: Zugfahrt nach Davos Dorf, danach Busfahrt vom Bahnhof Davos Dorf nach Teufi.

Benötigte Ausrüstung

Komplette Skitourenausrüstung, Seidenschlafsack für Hüttenübernachtung, Steigeisen, Helm, Eispickel und Gletscherausrüstung

Übernachtung während der Hochtour

Grialetsch-Hütte SAC, Tel. +41/81 416 34 36, grialetsch.ch.

Tipp: Unbedingt im Vorfeld einen Platz reservieren.

Start- und Endpunkt dieser Skihochtour ist das „Restaurant Teufi“ im Dischmatal. Tipp: die hausgemachten Rösti mit Käse, Speck und Spiegelei.

Ausgewählte Ski-Hotels

Das „Ski-Hotel “-Siegel umfasst über 25 Unterkünfte in der Destination Davos Klosters, die sich gemeinsam für Skifahrer und Snowboarder einsetzen. Sie bieten attraktive Angebote mit Skipass. Zu den speziellen Serviceleistungen gehört unter anderem, dass Skipässe direkt an der Hotel-Rezeption erhältlich sind. Ideal für vor oder nach der Skihochtour.

Weitere Skitourentipps

Davos Klosters ist mit seinen Seitentälern und insbesondere dem Flüelapass sehr beliebt zum Skitouren von Dezember bis April. Für Skihochtouren ist die Frühlingszeit ideal. Detaillierte Tourenbeschriebe, Tipps, Guides und Mietmaterial: davos.ch/skitouren

Veranstaltung: Backcountry Week Davos (30.01. - 02.02.2025)

Die Winterbergsport-Festival-Serie geht 2025 in die 10. Runde mit Festival-Village, Testmaterial, Kaffee & Gipfeli, Bier, Grill und Glühwein.

Die Backcountry Weeks sind ein Event für alle, die Freude am Winter-Bergsport haben und ist dank diversen Kursen und Touren in verschiedenen Niveaus für Einsteiger wie auch für Fortgeschrittene attraktiv. Neben den Touren und Kursen abseits der präparierten Pisten zelebrieren wir an den Backcountry Weeks aber auch das Zusammensein. Im Festival Village treffen die Teilnehmer, die Guides und die Organisatoren zusammen. Am Morgen bei der Registration und bei der Wahl des gewünschten Mietmaterials zu Kaffee und Gipfeli, am Abend nach den Touren und Kursen zum Austausch über das Erlebte bei Glühwein, Bier und Grill.

Weitere Informationen zum Event unter https://backcountry-weeks.ch/

Text: Franz Thomas Balmer

Mehr Informationen & Eindrücke über die Davos Klosters in den Alpen findest du auf:

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