Captain Dale Dye: Hollywoods mächtigster Soldat
Wo immer ein Kriegsfilm gedreht wird, ist er am Set: Captain Dale Dye. Er hat in Vietnam gekämpft, wurde mehrmals angeschossen, und ihm wurde dreimal das Purple Heart verliehen. Heute bringt er Top-Stars wie Tom Hanks bei, wie man im Krieg überlebt.
Eines Tages bekommt der ehemalige U.S.-Marine-Corps-Offizier Dale Dye einen Anruf. Der Mann am anderen Ende der Leitung sagt bloß einen Satz: "Captain, Sie haben eine Mission: Formen Sie eine Einheit!" Es ist das Jahr 1997 – und der Anrufer ist kein Geringerer als Steven Spielberg.
Als er vor 20 Jahren die Regie von "Der Soldat James Ryan" übernimmt, kann er noch nicht ahnen, dass sein Anti-Kriegs-Epos das Genre revolutionieren wird. Er fällt nur eine Entscheidung: "Wir mussten ehrlich sein, um diesen Soldaten gerecht zu werden. Im Krieg geht es nicht um Ruhm. Du stirbst nicht in Zeitlupe, taumelnd ansetzend zur perfekten Airbag-Landung mit einem großen Feuerball im Hintergrund. Ich hätte keinem Veteranen mit einem weiteren Film, der den Zweiten Weltkrieg verherrlicht, einen Gefallen getan." Spielberg beschließt, den Krieg so brutal und realistisch wie möglich aussehen zu lassen – und wählt deshalb Dyes Nummer.
Captain Dale Dye: Hollywoods mächtigster Soldat
"Filmschauspieler sind schrecklich verwöhnt", sagt Spielberg. "Sie haben Masseure, Trainer, Trailer und was sonst noch. Ich bin sicherlich kein Method-Regisseur, der andere für seine Kunst leiden lässt. Aber in diesem Fall, dachte ich, muss jeder etwas von diesem Schmerz fühlen, den die Soldaten damals durchlitten." Und für diesen Job ist Dale Dye genau der richtige Mann. In der Vita des Ex-Marine stehen 32 offizielle Kampfeinsätze (u. a. in Vietnam, im Libanon und in Nicaragua) und diverse militärische Auszeichnungen. Er hat mehr Schlachten miterlebt als die meisten Infanteristen und ist mehrfach verwundet worden. Nach 20 Jahren bei den Marines quittiert er jedoch seinen Dienst, um seine zweite Karriere zu starten: Er gründet die Firma Warriors, Inc. und zieht erneut in den Krieg – doch diesmal im Dienste Hollywoods: Dye berät Filmemacher in militärischen Fragen, drillt Schauspieler und macht so seine Erfahrungen zu Geld.
Der erste Regisseur, der ihn engagiert, ist Vietnam-Veteran Oliver Stone. Für den Kriegsfilm "Platoon" bereitet Dye die Darsteller Charlie Sheen, Willem Dafoe, Johnny Depp und Forest Whitaker 30 Tage lang in einem speziell von ihm entwickelten Trainingslager auf den Krieg vor. "Platoon" erweist sich als Türöffner für Dye, denn sein Ruf spricht sich rasend schnell herum, und bald wollen alle großen Filmemacher den gefürchteten Drill-Sergeant rekrutieren. 4.000 Dollar verlangt er pro Woche für sein Training. Er arbeitet mit Stars wie Tom Cruise, Colin Farrell und Matt Damon und darf im Gegenzug Mini-Rollen in Blockbustern wie "JFK – Tatort Dallas", "Mission: Impossible" oder "Starship Troopers" übernehmen.
Militärausbildung eines Hollywood-Stars
"Ja, mein Training ist hart", gibt Dye zu. "Und ganz besonders hart ist es für denjenigen, der keine Entbehrungen kennt. Denn Entbehrungen sind das, womit ein Soldat ständig leben muss." Der Schauspieler Edward Burns erinnert sich mit Schrecken an Dyes Bootcamp: "Du absolvierst Sechs-Meilen-Märsche bei strömendem Regen, dann die Nachtmanöver, und zwischendurch musst du auch noch deine Waffen reinigen und laden."
"The Pacific"-Darsteller Joseph Mazzello wählt noch drastischere Worte: "Das Ziel war, uns fertigzumachen. Wir haben nur einmal am Tag gegessen, zwei Stunden pro Nacht mitten im Dschungel geschlafen. Nachts war’s eiskalt, tagsüber irre heiß, wir wurden ständig angeschrien und schleppten 50 Kilo Ausrüstung mit uns herum. Ich hab nur noch versucht, am Leben zu bleiben. Dieser Job war die härteste Erfahrung meines Lebens."
Dye muss lachen, wenn er die Worte der Stars hört. "Die Jungs dachten, sie würden Vögel und Bienen beobachten und in der Gegend rumballern – falsch. Sie mussten militärische Disziplin am eigenen Leib erfahren, denn sonst hätte es auf der Leinwand lächerlich ausgesehen."
Eine Uniform, eine Schaufel und eine Rolle Toilettenpapier. Mehr bekommen die Stars von Dye nicht. Er lässt sie in Fuchsbauten schlafen, durch Schlamm robben, Handgranaten werfen und ruft sie dabei nicht mit ihrem richtigen, sondern ihrem Rollennamen. "Mir ist egal, wer ihre Agenten oder wie berühmt sie sind", so der Ex-Marine. "Die Schauspieler werden von mir angeschrien, wenn sie nicht parieren. Natürlich schießen wir auch – mit scharfer Munition."
Erfolg rechtfertigt die Mittel
Trotz aller Qualen sind sich hinterher alle Beteiligten einig: Das Bootcamp hat dem Film den nötigen Realismus gegeben, den Krieg in all seinen grausamen Details greifbar gemacht. "Als ich den Film sah und der Abspann lief, war Dale Dye der Erste, dem ich danken wollte, weil wir dank seiner Ausbildung wie echte Soldaten aussahen", sagt Edward Burns. Und der Captain gibt das Kompliment zurück: "Schauspieler sind wie trockene Schwämme. Die wirklich guten saugen alles Erlernte in sich auf und bringen es später im Film glaubhaft rüber." Auch er selbst ist zufrieden mit der Darstellung der Kriegswirklichkeit in seinen Filmen. "'Der Soldat James Ryan' ist der bisher akkurateste Kriegsfilm." Ans Aufhören denkt der 72-Jährige übrigens noch lange nicht. Aktuell steht er schon wieder für drei Projekte vor der Kamera.