Die Berliner Mauer: Die gefälschte Unschuld

Er gibt sich unwissend, fast schon überrascht – und zementiert mit nur einem Satz 40 Jahre deutsche Geschichte. Auf die Frage, ob seine Regierung den Bau einer Staatsgrenze am Brandenburger Tor plane, antwortet DDR-Chef Walter Ulbricht am 15. Juni 1961 auf einer internationalen Pressekonferenz: "Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten."

Vielleicht will der SED-Vorsitzende mit dieser Lüge nur seine Bürger beruhigen, von denen allein in den zwei Wochen zuvor 10 000 aus der DDR nach Westberlin geflüchtet sind. Was Ulbricht jedoch vor allem mit dieser gespielten Unschuld erreicht, ist, dass die Alliierten sich in Sicherheit wiegen – mit der Überzeugung, dass es zu keinem Mauerbau in Berlin kommen wird.

Für das SED-Regime entsteht so ein Überraschungsmoment, auf das weder die Bundesrepublik, noch die Amerikaner, Franzosen oder Engländer vorbereitet sind. Tatsächlich setzt Walter Ulbricht nur 58 Tage nach der Falschmeldung einen Plan in die Tat um, der bereits seit März 1961 gemeinsam mit der Sowjetunion ausgearbeitet wird: Er lässt eine 43 Kilometer lange und bis zu vier Meter hohe Mauer zwischen Ost- und Westberlin bauen

Hunderte Beobachtungstürme, Stacheldraht und bewaffnete Wachposten (inklusive Schießbefehl) werden innerhalb weniger Wochen installiert. Deutschland wird endgültig gespalten. Hunderte Menschen, die aus der DDR fliehen wollen, werden in den kommenden knapp 30 Jahren an der Grenze erschossen. Aber was wäre, wenn Ulbrichts Vertuschungslüge sofort aufgeflogen – und die Mauer nie gebaut worden wäre? Historiker gehen davon aus, dass die Wahrscheinlichkeit eines Atomkriegs rasant gestiegen wäre. Dazu passt auch die Aussage von US-Präsident John F. Kennedy, einige Tage nach dem Mauerbau: "Eine Mauer ist verdammt noch mal besser als ein Krieg.“